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Recherche: Tode bei Polizeieinsätzen 2022

CN: Tod, Polizeigewalt, Femizid

Hintergrund

Im August letzten Jahres erschossen Polizeibeamt*innen den 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé. Sein Tod mobilisierte viele tausende Menschen gegen rassistische Polizeigewalt in Dortmund auf die Straße zu gehen. Auch uns beschäftigte dieser Fall sehr, vor allem weil er in einer Reihe mit weiteren bekannten Todesopfern bei Einsätzen durch die Polizei stand. Wir stießen auf viele Berichte von ähnlichen Situationen mit tödlichem Ausgang, aber eine vollständige Liste suchten wir vergeblich. So begann unsere Recherche zu tödlichen Polizeieinsätzen in Deutschland. Unser Ziel war eine Auflistung aller Personen, die im Jahr 2022 während oder in Folge einer polizeilichen Maßnahme gestorben sind. Auch wenn nicht alle Todesfälle so eindeutig auf die Täter*innenschaft der Polizei verweisen, wie der von Mouhamed Lamine Dramé, so stellt sich dennoch oft die Frage nach deren (Mit-)Verantwortung: Wäre die Person noch am Leben, wenn die Polizei nicht gekommen wäre?“

 

Insgesamt haben wir deutschlandweit 30 Fälle mit tödlichem Ausgang gefunden, die unseren Kriterien entsprechen. Davon verstarben allein 10 Menschen im Zusammenhang mit Einsätzen der Polizei Nordrhein-Westfalen. Die meisten dieser 30 tödlichen Polizeieinsätze sind weder aufgeklärt noch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und die Mehrheit der Vorgänge blieben ohne Konsequenzen für die Beamt*innen. 
Neben einer kurzen Beschreibung des Falls sind auch einige Quellen aufgeführt. Auch wenn die Quellenlage von Fall zu Fall stark variiert, haben wir versucht einschlägige und ausführliche Presseberichte, aktivistische Arbeiten oder Beiträge aus Perspektive der Angehörigen zu verlinken. Wenn es besonders wenig Informationen gab, verweisen wir auch auf Pressemitteilungen der Polizei. Hervorheben möchten wir zudem:

Alle Fälle tödlicher Polizeieinsätze

04.01.2022: Name unbekannt — Jena, Thüringen

Eine namentlich unbekannte Person ist am 04.01.2022 in Jena, Thüringen nach einem Polizeieinsatz im Krankenhaus verstorben. Der Mensch wurde ohnmächtig, als die Polizei ihn am 01.01.2022 gewaltsam fesselte. Laut dem Obduktionsgutachten hat der 40-jährige dabei schwere Kopfverletzungen erlitten und erlag ihnen nach drei Tagen im Krankenhaus.
Quelle(n):

06.01.2022: Name unbekannt — Bonn, NRW

Eine namentlich unbekannte Person ist am 06.01.2022 in Bonn, Nordrhein-Westfalen nach einem Polizeieinsatz im Krankenhaus gestorben.
Der Mensch ist auf der Flucht vor der Polizei am 24. Juli 2021 beim Klettern mit Pfefferspray besprüht worden und in einen Container gefallen. Nach der Festnahme verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dramatisch. Daraufhin lag der 21-Jährige im Koma und verstarb schließlich fünf Monate später. Seine Familie vermutet, dass er aufgrund seines illegalen Aufenthaltsstatus in Deutschland vor der Polizei fliehen wollte. Unklar ist ihnen, warum die Bodycams der Polizeibeamt*innen ausgeschaltet waren und wann die Rettungswagen nach der Festnahme gerufen wurden.
Quelle(n):

01.02.2022: Name unbekannt — Gemünden, Hessen 

Am 01.02.2022 wurde in Gemünden, Hessen ein namentlich Unbekannter 43-Jähriger von der Polizei angeschossen, nachdem er einen Femizid beging. Er verstarb im Krankenhaus in Marburg an seinen Verletzungen. Zuvor erstach er seine 41-jährige Frau mit einem Messer und fügte auch sich selbst Schnittwunden zu. Unklar bleibt wie viele Schüsse auf ihn abgegeben wurden und welche Rolle die Schussverletzung an der rechten Schulter bei seinem Tod spielte. Das hessische LKA ermittelte gegen zwei von den vier anwesenden Beamt*innen wegen Schusswaffengebrauchs. 
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09.02.2022: Name unbekannt — Hamburg

Ein namentlich unbekannter, 33-jähriger Mann, verstarb am 9. Februar 2022 nach einer Festnahme mittels körperlicher Gewalt der Hamburger Polizei.
Die Polizei wurde nach eigenen Angaben durch eine*n Passant*in gerufen, da ein Mann in einem „offenbar verwirrten Zustand“ auf eine vielbefahrene Straße lief und verhaftete ihn daraufhin. Nachdem er nach der Festnahme „zur Feststellung seines Gesundheitszustandes“ in einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht worden war, verstarb er laut einer ersten polizeilichen Pressemitteilung noch am selben Tag. In einer zweiten PM wurde jedoch kommuniziert, dass der Mann schon bei der Ankunft am Krankenhaus kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Reanimierungsversuche blieben erfolglos. Der Einsatz sollte polizeiintern untersucht werden, eine genaue Obduktion zur Feststellung der konkreten Todesursache wurde angekündigt. Hierzu finden sich jedoch keine abschließenden Informationen.
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24.02.2022: Name unbekannt — Gunzenhausen, Bayern

Ein namentlich unbekannter 47-Jähriger wurde am 24.02.2022 in Gunzenhausen, Bayern, durch die Schüsse von zwei Polizeibeamten getötet. Er soll am späten Abend vor seinem eigenen Haus randaliert haben, sodass Passant*innen die Polizei verständigten. Die eintreffenden Polizist*innen entdeckten Feuer im Haus und forderten die Feuerwehr als Unterstützung an. Bei den Löscharbeiten soll der Mensch die Beamt*innen mit einem Messer angegriffen haben. Eine Abwehr mit Pfefferspray scheiterte, woraufhin beide auf ihn schossen. Kurz darauf erlag der 47-Jährige in einer Klinik seinen Schussverletzungen. Wer und wie oft die Polizist*innen auf ihn schossen, bleibt ungeklärt –  genauso wie die Frage, ob es eine andere, nicht-tödliche Deeskalationsmöglichkeit gegeben hätte. Das LKA ermittelt. 
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25.02.2022: Name unbekannt — Schmölln, Thüringen

Eine namentlich unbekannte Person ist am 25.02.2022 nach einem Polizeieinsatz im thüringischen Schmölln verstorben. Die Person verlor kurz nach Beginn des Polizeieinsatzes im Hausflur eines Mehrfamilienhauses aus ungeklärten Gründen das Bewusstsein und musste noch vor Ort von den anwesenden Rettungskräften reanimiert werden. Nachdem die Person erst wiederbelebt werden konnte, starb sie am darauffolgenden Samstag im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft Gera ermittelt gegen die beteiligten Beamt*innen.
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20.03.2022: Daniel Scherschin — Grünthal, Bayern

Der 31-jährige Daniel Scherschin kam am Abend des 20. März 2022, nach einem Polizeieinsatz im bayrischen Grünthal ums Leben. Die Polizei stellte den, seit seinem 16. Lebensjahr an Schizophrenie leidenden, Mann auf der Brandlbergerstraße, nachdem seine Freundin die Polizei gerufen hatte. Er solle eine andere Person mit der Faust geschlagen haben. Kurz darauf starb Daniel beim polizeilichen Festnahmeversuch mit gefesselten Armen und Beinen.
Das Gutachten der Staatsanwaltschaft Regensburg zur Todesursache spricht von: „[…] Todeseintritt bei dem 31-jährigen Verstorbenen mit einem akuten Herzversagen im Rahmen der körperlich anstrengenden Widerstandshandlungen […].“ Das unabhängige, von der Familie in Auftrag gegebene Gutachten spricht von Stauungsblutungen, die durch starken Druck auf den Brustkorb ausgelöst werden können und widerspricht somit dem Gutachten der Staatsanwaltschaft. Auch die Body Cams der beteiligten Polizist*innen waren alle ausgeschaltet. Die Todesursache bleibt ungeklärt. 
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07.04.2022: Name unbekannt – Bochum, NRW

Eine 46-jährige namentlich unbekannte Person ist am 07.04.2022 in Bochum in Verbindung mit einem Polizeieinsatz verstorben. Gegen 5:55 Uhr wurden die Polizist*innen nach Bochum Riemke gerufen. Der Grund für das Ausrücken der Polizei, außer dass die Person alkoholisiert gewesen sein soll, ist nicht geklärt. Nachdem die Polizist*innen den Mann ansprachen, soll dieser Widerstand geleistet haben. Daraufhin rief die Polizei Verstärkung. Die Person wurde überwältigt und gefesselt, dabei verlor sie das Bewusstsein und konnte nicht reanimiert werden. Die Person verstarb noch am Einsatzort. Nachdem „aus Neutralitätsgründen“ das angrenzende Polizeipräsidium aus Essen ermittelte, wurde „kein Fremdverschulden“ festgestellt und die verantwortliche Staatsanwaltschaft leitete kein Verfahren gegen die Polizist*innen ein. Wie so häufig liegen nur die Berichte der beteiligten Polizist*innen vor und eine neutrale Recherche bzw. eine konsequente Aufklärung wird erschwert. Als Todesursachen laut Polizeigutachten wird laut WAZ später „Intoxikation und Luftnot“ benannt. Ob die Luftnot mit der Überwältigung und Fesselung der Person zusammenhing, ist ungeklärt. 
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08.04.2022: Name unbekannt — München, Bayern

Eine namentlich unbekannte 30-Jährige ist am 05.04.2022 nach einem Polizeieinsatz im Münchener Stadtteil Giesing im Krankenhaus verstorben. Die an manischer Schizophrenie leidende Frau soll ein ausgeliehenes Handy nicht zurückgegeben haben, woraufhin zwei Streifen am Ort des Geschehens eintrafen.
Die Frau wurde zu Boden gerungen und ihre Hände wurden gefesselt. Nachdem die Fesseln abgenommen wurden, floh sie und brach wenige Meter weiter wieder zusammen. Dort wurden ihr erneut die Hände gefesselt und die Frau wurde in die psychiatrische Klinik gebracht. Dem Personal fiel eine Armverletzung auf, daraufhin wurde die Frau auf die Intensivstation gebracht. Dort verstarb sie. Welche Verantwortung die Polizei für den Tod der 30-Jährigen hat, bleibt ungeklärt. 
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12.04.2022: Name unbekannt — Neukirchen-Vluyn, NRW

Ein namentlich unbekannter Mann ist am 12.04.2022 in Neukirchen-Vluyn in Nordrhein-Westfalen von der Polizei erschossen worden. Nachdem die Polizei abends zur Wohnung des 50-Jährigen gerufen wurden, weil dieser in seiner Wohnung randaliert haben soll, brachen sie seine Tür auf. 
Der Mann soll der Polizei mit einem Messer gedroht haben, woraufhin das Spezialeinsatzkommando (SEK) kam. Er soll sich mit dem Messer auf die SEK-Beamt*innen zu bewegt haben, weshalb die Beamt*innen dem Mann mehrmals in den Oberkörper schossen und ihn dabei töteten. Er verstarb im Krankenhaus.
Über das Ermittlungsverfahren, das die Polizei Duisburg einleitete, ist bisher noch nichts bekannt.
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27.04.2022: Marcel K. — Berlin

Am 39 Jahre alten Marcel K., der am 27.04 an den Folgen eines Polizeieinsatzes am 20.04 in Berlin Schöneweide starb.
Der kranke und am Bein verletzte, wohnungslose Marcel K. suchte in dieser Nacht mit zwei Freunden einen geeigneten Schlafplatz, den die drei Freunde hinter einem Waschcenter in der Brückenstraße 1 fanden. Nachdem die Freunde einschliefen, wurden sie gegen 23 Uhr von Polizist*innen zur Räumung geweckt. Zwar konnten seine zwei Freunde fliehen, Marcel wurde jedoch von einem Beamten an seinem verletzten und stark schmerzenden Bein gepackt. Seine beiden Freunde konnten aus der Ferne beobachten wie mehrere Polizist*innen auf den am Boden liegenden Marcel einschlugen und ihm Pfefferspray ins Gesicht sprühten.
Marcel geriet in Atemnot und blieb danach leblos am Boden liegen. Ein Krankenwagen brachte den bewusstlosen Marcel K. in ein. Dort verstarb er am sieben Tage später an den Folgen des Polizeieinsatzes. Die Schönweider Initiative „A-Küche“ sowie Nachbar*innen solidarisieren sich seitdem in Form verschiedener Gedenkaktionen wie die Markierung des Tatorts oder machen mit Plakaten und Demonstrationen auf den Fall von Marcel K. aufmerksam.
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02.05.2022: Name unbekannt — Offenbach, Hessen

Ein namentlich unbekannter, 38-jähriger Mann, fiel in Offenbach, Hessen, in Folge eines Polizeieinsatzes vom Dach eines sechsstöckigen Hauses und verstarb noch vor Ort. #polizeitötet
Nachbar*innen hatten die Offenbacher Polizei wegen des Mannes gerufen, da dieser in seiner Wohnung „randaliert“ haben soll. Der Mann, der sich in der Vergangenheit „wegen psychischer Auffälligkeiten bereits mehrmals freiwillig in eine Fachklinik begeben“ haben soll, hatte der Polizei zufolge ein Messer bei sich und sei aggressiv aufgetreten. Daraufhin wurde das SEK zum Einsatz hinzugezogen. Dies eskalierte die Situation massiv und der Mann flüchtete auf das Dach des sechsstöckigen Gebäudes. Von dort stürzte er einige Zeit später und nach etwa sechsstündigem Einsatz in den Tod.
Untersuchungen zur Ursache des Sturzes wurden durch die Polizei angekündigt, Ergebnisse hierzu sind jedoch nicht zu finden.
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02.05.2022: A. P. — Mannheim, Baden-Württemberg

Der 47-Jährigen A. P. ist am 02.05.2022 in Mannheim, Baden-Württemberg, von der Polizei getötet worden. Am Mittag des 02.05. rief ein Arzt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim die Polizei, da A. P. die Einrichtung ohne Vorankündigung verließ. Wenig später wurde A.P. vor einem Imbiss in der Mannheimer Innenstadt aufgefunden. Laut Polizei leistete A. P. Widerstand, weswegen die Polizei „unmittelbaren Zwang“ ausübte. A. P. kollabierte und musste noch vor Ort reanimiert werden. Er verstarb wenig später in der Mannheimer Universitätsklinik. Der Polizeieinsatz ist wenig später auf einem Handyvideo, gefilmt von einem Passanten zu sehen. Die Polizist*innen warfen A. P. demnach zu Boden, schlugen ihm wiederholt mit der Faust ins Gesicht bis dieser blutete und sprühten ihm aus nächster Nähe Pfefferspray ins Gesicht. Auch knieten sie sich auf dem am Boden liegenden A. P. Das Gutachten der Mannheimer Staatsanwaltschaft zur genauen Todesursache spricht von „Lage und fixationsbedingten Atembehinderung“, sowie von „Ersticken durch eine Blutung in die oberen Atemwege“. In den darauffolgenden Tagen forderten einige Hundert Demonstrierende und Initiativen in Mannheim und Heidelberg die konsequente Aufklärung des Falls und dessen möglicher rassistischer Komponente. Der Landeschef der GdP, Gundram Lottmann, entschied sich, seine Anteilnahme vor allen den beteiligten Polizist*innen auszusprechen. Gegen sie läuft ein Ermittlungsverfahren, eine öffentliche Aufarbeitung findet nicht statt.
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10.05.2022: Name unbekannt — Mannheim, Baden-Württemberg

Ein 31-jährigen Mann, Name unbekannt, verstarb am 10.05.2022 in Mannheim während eines Polizeieinsatzes. Laut polizeilicher Pressemitteilung habe der 31-jährige mit seiner 55-jährigen Mutter laut gestritten und sich im Verlauf dieser Auseinandersetzung selbst Schnittwunden hinzugefügt. Die durch eine*n Hausbewohner*in hinzugerufenen Beamt*innen verschafften sich gewaltsam Zutritt zu der Wohnung. Dort soll der Mann versucht haben, sie mit einem Messer anzugreifen. Nach vergeblichem Pfeffersprayeinsatz schoss ein Beamter ihm gezielt ins Bein, woraufhin der 31-jährige kurze Zeit später verstarb. Inzwischen (bereits im September) wurde das Verfahren gegen den schießenden Beamten eingestellt, da der Beinschuss laut Obduktionsbericht wohl nicht die (alleinige) Todesursache war. Auch hier scheint es dringenden Klärungsbedarf hinsichtlich polizeilicher Deeskalationsstrategien zu geben. Es war bereits der zweite Tod durch polizeiliche Fixierung in Mannheims innerhalb von acht Tagen
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04.07.2022: Name unbekannt — Weißenfels, Sachsen-Anhalt

Ein namentlich unbekannter, 36-jähriger Mann verstarb am 04.07.2022 in Weißenfels zwei Tage nach einer versuchten Festnahme durch die Polizei im Krankenhaus.
Gemäß Polizeiangaben versuchte der Mann am 02.07., nachdem zwei alarmierte Polizist*innen diesen bei einem Einbruchsversuch konfrontiert hatten, zu flüchten. Beim folgendem Festnahmeversuch soll sich der Mann zur Wehr gesetzt haben und die Polizist*inne setzten „Zwangsmaßnahmen“ ein. Was genau diese umfassten, ist nicht klar. Der Mann verlor im Laufe der Konfrontation das Bewusstsein und wurde vom Rettungsdienst in ein Krankenhaus eingeliefert.
Dort verstarb er zwei Tage später. Die Polizeiinspektion Dessau-Roßlau sollte das Geschehnisse „unabhängig“ und „neutral“ ermitteln, so die Polizeiinspektion Halle. Eine Obduktion wurde angeordnet, jedoch sind keine Ergebnisse bekannt.
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02.08.2022: Amin F. — Frankfurt am Main, Hessen

Amin F. bedrohte am 02.08.2022 in Frankfurt in einem Hotel zwei Frauen. Nachdem sie sich in Sicherheit gebracht hatten, riefen sie die Polizei. Es gab die Vermutung, dass Amin F. eine Waffe besäße. Das SEK stürmte in das Hotelzimmer, in dem sich Amin F. allein aufhielt und hetzten einen Polizeihund auf ihn. Er wehrte sich mit einem Messer gegen den Hund. Nachdem er eine Stichbewegung in Richtung der Beamt*innen gemacht haben soll, wurde er mit sechs Schüssen, wovon einer ihn im Kopf traf, erschossen. Der Mensch war von Rassismus betroffen. Inwieweit Rassismus eine Rolle beim Einsatz spielt, da sich das Ganze im Frankfurter Bahnhofsviertel abspielte, wo regelmäßig Menschen über rassistische Polizeiarbeit berichten, ist nicht klar. Auch bleibt die Frage offen, ob ein deeskalativeres Vorgehen zur Sicherstellung der angeblichen Waffe möglich gewesen wäre.
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03.08.2022: Jozef Berditchevski — Köln, NRW

Jozef Berditchevski starb am 03.08.2022 in Köln, Nordrhein-Westfalen an Blutverlust, nachdem er zwei Mal von Polizeibeamt*innen angeschossen wurde. Er war 48 Jahre alt, studierter Musiker, jüdischer Abstammung und kam um 1990 aus Russland nach Köln, um nicht im Krieg zu kämpfen.
Der 03.08. war der Tag einer Zwangsräumung aus seiner Wohnung, da er infolge der Einschränkungen für Künstler*innen wegen Corona in eine finanzielle Notlage kam und zudem einen problematischen Umgang mit Alkohol entwickelte. Schon bei einem Suizidversuch im Juni hatte Jozef Probleme mit der Polizei gehabt, da er sich gegen ein Einschreiten gewehrt hatte und daraufhin für Widerstandshandlungen angezeigt wurde. Er hatte vorher angekündigt, sich vor der Räumung zu wehren und soll ein Messer in der Hand gehabt haben. Daraufhin wurde er mit Pfefferspray angegriffen, was ihn nicht zum Verlassen der Wohnung brachte. Es wurde dann zwei Mal auf Jozef Berditchevski geschossen und dieser verstarb noch in der Wohnung. Hat die Kölner Polizei bei Weigerung vor einer Räumung keine anderen Mittel, als die Mieter*innen zu erschießen, wenn diese nicht Folge leisten? Zwangsräumungen sind bei akuter Suizidgefahr unzulässig. Wurde dies bei Jozef, bei dem die Suizidgefahr offensichtlich behördlich bekannt war, berücksichtigt?
Freund*innen, Nachbar*innen, Mietinitiativen und Musiker*innen erinnern seit dem Todesfall bei Kundgebungen in Köln an Jozef und fordern, dass ein anderer Umgang in solchen Situationen ermöglicht wird.
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07.08.2022: Name unbekannt — Oer-Erkenschwick, NRW

Ein namentlich unbekannter 39-Jähriger starb am 07.08.2022 in Oer-Erkenschwick, Nordrhein-Westfalen, im Zusammenhang mit einer Festnahme durch Polizeibeamt*innen. Die Polizei wird von alarmierten Nachbar*innen zu der Wohnung eines 39-jährigen Mannes gerufen. Eine Frau, die ebenfalls in der Wohnung gewesen sein soll, habe sich selbst in Sicherheit gebracht. Nachdem die Polizei in die Wohnung eingedrungen ist, leistet der Mann Widerstand. Die Polizei setzt Pfefferspray ein und überwältigt den Mann, woraufhin er sein Bewusstsein verliert und im Krankenhaus verstirbt.
Gegen Polizeibeamt*innen wird auch ermittelt, weil sie Zeug*innenvideos gelöscht haben soll.
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08.08.2022: Mouhamed Lamine Dramé — Dortmund, NRW

Mouhamed, das war Mord. Justice for Mouhamed.
Am 08.08.2022 wurde Mouhamed Lamine Dramé in der Dortmunder Nordstadt von Polizist*innen mit Pfefferspray und Tasern verletzt und mit Polizeidienstwaffen erschossen. Der 16-Jährige war erst wenige Wochen zuvor aus dem Senegal unbegleitet nach Deutschland geflüchtet und wohnte seit einer Woche in einer Wohngruppe in Dortmund. Er hatte darum gebeten, über seine Fluchterfahrungen zu sprechen und wurde erst am Vortag mit Depressionen und einer posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert. Er befand sich an dem Tag in einer akuten psychischen Krise und signalisierte, sich mit einem Messer selbst umzubringen, weshalb die Polizei gerufen wurde. Auf die polizeiliche Ansprache in einer ihm unbekannten Sprache reagierte Mouhamed nicht. Er saß draußen in gekrümmter Position auf dem Boden und hielt sich ein Messer gegen den Bauch. Von ihm ging keine Gefahr aus. Daraufhin wurde Pfefferspray eingesetzt und Mouhamed richtete sich auf. Als er auf die Beamten zuging wurden Taser und Waffe eingesetzt. Zwischen Tasereinsatz und Schussabgabe lagen nur 0,7 Sekunden. Von sechs Schüssen trafen Mouhamed fünf. Er wurde nicht vor Pfefferspray, Taser oder Waffeneinsatz gewarnt. Die Polizei legte ihm danach noch Handschellen an. Die Bodycams der Polizist*innen waren ausgeschaltet, aber die Funkaufnahme lässt Rückschlüsse auf den Ablauf zu und zeigt beispielsweise auch, dass von Anfang an vom einsatzleitenden Polizisten geplant wurde, eine ganze Flasche Pfefferspray auf Mouhamed anzuwenden. 
Aufgrund des skandalösen und ungerechten Todes von Mouhamed gingen tausende Menschen zu Demonstrationen auf die Straße, um Gerechtigkeit zu fordern. Der Solidaritätskreis Mouhamed setzt sich für Aufklärung, Begleitung von Mouhameds Familie im Senegal auch bei einer Nebenklage und für ein Ende systematischer Polizeigewalt ein. Offen ist noch, ob es zur Anklage gegen beteiligte Polizist*innen kommt. 
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04.09.2022: Name unbekannt — Berlin 

Am 04.09.2022 wurde in Berlin-Lichtenberg ein namentlich Unbekannter 23-Jähriger von der Polizei erschossen, während er einen Femizid beging. Nachbar*innen hatten die Polizei wegen Schreie aus der Wohnung im neunten Stock eines Mehrfamilienhauses gerufen. Sie gaben außerdem an, dass der Mann versucht habe, andere Wohnungstüren einzuschlagen. Beim Eintreffen schlug der Mann, laut Polizeiangaben, mit einem Beil auf eine am Boden liegende Frau ein. Einer der beiden Beamten schoss zweimal und verletzte den Mann tödlich. Auch die 27-jährige Frau erlag am Tatort ihren schweren Verletzungen. GdP(Gewerkschaft der Polizei)-Sprecher Benjamin Jendro sagte, die Schusswaffe sei in dieser Situation „das einzige Mittel“ gewesen und die Frage nach Taser als Alternative „rein spekulativ und nicht fair gegenüber den Einsatzkräften“ sei.
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04.09.2022: Name unbekannt — Mönchengladbach, NRW

Ebenfalls am 04.09.2022 starb eine namentlich unbekannte Person in Mönchengladbach, Nordrhein-Westfalen. Der 26-Jährige hatte nachts ein Streitgespräch mit seiner Freundin, weshalb Nachbar*innen beunruhigt die Polizei riefen. Als diese kam, wollte die Person aus Angst vor den Beamt*innen über den Balkon fliehen und stürzte dabei vom Balkon. Die Person war an dem Abend alkoholisiert und laut RP-online Mitglied in einer Bruderschaft. Erste Verdachte, ob es sich um ein Fall häuslicher Gewalt handelte, wurden abgeschwächt aber sind nicht ganz geklärt.
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07.09.2022: René W. — Leipzig, Sachsen

Ein namentlich Unbekannter 36-Jähriger ist am 07.09.2022 in Leipzig in Sachsen von der Polizei erschossen worden.
Wegen eines mutmaßlichen Ladendiebstahls, bei dem der Mann zwei Flaschen Bier und Kartoffeln gestohlen und Personen mit einem Messer gedroht haben soll, suchte die Polizei die Wohnung des Opfers im Stadtteil Paunsdorf auf. Dort sei es gegen 16 Uhr zum Gebrauch der Schusswaffe gekommen. Der Mann verstarb wenige Stunden später im Krankenhaus.
Wie genau die „bedrohliche Einsatzlage“ aussah, die dazu führte, dass die Beamt*innen auf den Mann schossen, wurde seitens der Polizei nicht erläutert. Auch auf die Fragen nach der Anzahl, der am Einsatz beteiligten Polizist*innen und die Anzahl der abgegebenen Schüsse verweigert die Polizei bis heute jede Auskunft.
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08.09.2022: Name unbekannt — Ansbach, Bayern

Am 08.09.2022 wurde eine namentlich unbekannte Person in Ansbach, Bayern, von drei Schüssen durch die Polizei erschossen. Der 30-Jährige habe zuvor einen Jugendlichen mit zwei Messern angegriffen und weitere Passant*innen griffen ein, sodass er fluchtartig den Ort verließ. Die Polizei traf den Menschen einige Straßen weiter und trifft ihn mit drei Schüssen. Beamt*innen berichten später, dass er sie ebenfalls mit einem Messer bedroht habe. Der Mensch war von Rassismus betroffen.
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06.10.2022: Kupa Ilunga Medard Mutombo — Berlin 

Am 6.10.2022 starb Kupa Ilunga Medard Mutombo mit 64 Jahren in einem Berliner Krankenhaus an den Folgen von Verletzungen, die ihm bei einem Polizeieinsatz am 14.09.2022 zugefügt wurden. Er sollte von drei Polizist*innen sowie Gesundheitspersonal in ein psychiatrisches Krankenhaus verlegt werden, nachdem er zuvor jahrelang in einer Einrichtung für betreutes Wohnen für seelisch und psychisch krank gemachte Menschen gewohnt hat. Statt drei wurde er mit 16 Polizist*innen sowie Hunden konfrontiert und verunsichert. Sie gingen ihn, laut Aussage von Kupa Ilunga Medard Mutombos Betreuer, aggressiv an und fixierten ihn mit dem Knie auf dem Boden, bis er keine Luft mehr bekam. Nach einiger Zeit gab es Reanimationsversuche und er wurde in den folgenden Tagen im kritischen Zustand in das Vivantes Klinikum und dann in die Charité verlegt. Erst am 21. September wurde Mutombo Mansamba, Kupa Ilunga Medard Mutombos Bruder vom Charité Krankenhaus darüber informiert, dass dieser sich dort befinde, als Medard scheinbar bereits im Koma lag. Die Berliner Polizei sieht bei ihren Ermittlungen, die sie gegen sich selbst führt, kein rechtswidriges Handeln und auch kein Fremdverschulden, obwohl die Todesursache ein Hirnschaden aufgrund von Sauerstoffmangel ist. 
Medard war von Rassismus betroffen und musste Medikamente gegen Schizophrenie nehmen. Warum wurde sein Bruder nicht über die Verlegung oder die Folgen des Einsatzes informiert? Warum machte die Berliner Polizei den Vorfall erst eine Woche später öffentlich? Warum waren so viele Polizist*innen und sogar Hunde vor Ort? Sein Bruder fordert Aufklärung, ein Gerichtsverfahren und ist überzeugt, dass Medard ohne den Polizeieinsatz noch leben würde. 
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19.10.2022: Name unbekannt — Dortmund, NRW

Am 19.10.2022 ist ein namentlich unbekannter Mann in Dortmund-Dorstfeld, Nordrhein-Westfalen, nach Einsatz eines Tasers durch die Polizei gestorben. Die Polizei war gerufen worden, weil der 44-Jährige Autos beschädigte, nach Hilfe rief und nicht ansprechbar war. Als die Polizei kam, soll er handgreiflich gegen das Polizeifahrzeug geworden sein. Die Beamt*innen setzen einen Taser ein, woraufhin der Mann „reanimationspflichtig“ wird. Kurze Zeit später verstirbt er im Krankenhaus. Der Mensch war schwer herzkrank und zudem wohnungslos. 
Die Bodycams waren ausgeschaltet, weshalb sich nichts genaueres zum Ablauf sagen lässt.
Die Polizei Recklinghausen ermittelte „aus Neutralitätsgründen“ und sieht keine Kausalität zwischen Tasereinsatz und dem plötzlichen Tod. Immer wieder wird Drogenkonsum als Grund für seinen Tod genannt. Wie viel Zeit verging zwischen Tasereinsatz, Festnahme, Zusammenbruch des Mannes und Reanimierung? Wäre die Person auch ohne den Polizeieinsatz gestorben?
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24.10.2022: Timo R. — Zülpich, NRW

Der 31-jährige Timo R. wurde am 24.10.2022 in Zülpich, Nordrhein-Westfalen, von einem Polizeibeamten erschossen. Er soll gewaltsam versucht haben, in das Haus seiner Eltern zu kommen, woraufhin diese die Polizei riefen. Der Mensch soll einer Polizeibeamtin mit einem Messer nahegekommen sein, woraufhin er durch mindestens einen Schuss des Polizeibeamten getroffen wurde und vor Ort daran verstarb. Ein Gutachten vonseiten der Bonner Staatsanwaltschaft benennt den Schuss später als Nothilfe. Unbekannt ist, wie viele Polizist*innen vor Ort waren und warum keine anderen Deeskalationsmaßnahmen ergriffen wurden. Timo R.s Eltern befinden sich derweil in psychiatrischer Betreuung.
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17.11.2022: Hikmet T. — Enger, NRW

Am 17.11.2022 ist der 59-Jährige Hikmet T. in Enger, Nordrhein-Westfalen, infolge von Schüssen von Polizeibeamt*innen gestorben. Hikmet habe nach Angaben von Nachbar*innen der Presse gegenüber, Familienmitglieder damit bedroht, sich selbst zu verletzen. Dann hat er mithilfe von Brandbeschleuniger einen Brand im Haus ausgelöst.
Nachdem Polizei und Feuerwehr eintrafen, verließ Hikmet das brennende Haus. Kurze Zeit später wurde mehrmals geschossen. Es ist unklar, wie diese Situation genau ablief und wie viele Schüsse fielen, aber Hikmet wurde dabei ins Bein getroffen. Ein „sichelförmiges Küchenmesser“, das der Polizei als Rechtfertigung zum Schuss diente, hat er möglicherweise auch mit Absicht der Selbstverletzung in der Hand gehabt und war zu dem Zeitpunkt durch den Brand schwer verletzt. Scheinbar wurde mit Löschung des Brandes erst begonnen, nachdem Hikmet das Haus verließ.
Zuerst wurde berichtet, dass Hikmet außer Lebensgefahr sei, doch am 17.11. wurde sein Tod bekanntgegeben. Die Sprecher der Polizei wiesen jegliche Verantwortung von sich. Eine unabhängige Obduktion hat es nicht gegeben, die Polizei Bielefeld ermittelt „aus Neutralitätsgründen“. Wie viele Schüsse wurden am 3. November abgegeben? Wie viele davon trafen Hikmet? Warum wurde nicht früher mit der Brandlöschung begonnen? Und wie wurde die Bedrohungslage von der Polizei eingeschätzt, angesichts dessen, dass Hikmet T. von Rassismus betroffen war?
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18.11.2022: Name unbekannt — Using, Hessen

Am 18.11.2022 stirbt eine namentlich unbekannte Frau in Using, Hessen, nach einem Polizeieinsatz.
Ein Nachbar rief die Polizei, da sie sich in ihrer Wohnung laut verhalten habe. Die Polizei traf die 39-Jährige kurz darauf in einer Nebenstraße an und fesselte sie. Laut Pressemitteilung der Polizei „verschlechterte sich der Gesundheitszustand“ der Person plötzlich, und sie verstirbt, nach Reanimation vor Ort, später im Krankenhaus. Die Obduktion führte zu keinem klaren Ergebnis. Wäre die Person auch ohne Polizeieinsatz gestorben?
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10.12.2022: David W. — Dresden, Sachsen

Der 40-jährige David W. beginn am 10.12.2022 in Dresden, Sachsen, einen Femizid, bei dem er seine Mutter tötete. Danach nahm er eine Frau und ein Kind als Geiseln in einem Einkaufszentrum. Bei einer Befreiungsaktion der Polizei wurde David W. angeschossen und verstarb später im Krankenhaus.
Quelle(n):

15.12.2022: Name unbekannt — Hattersheim, Hessen

Ein namentlich Unbekannter 28-Jähriger ist am 15.12.2022 im hessischen Hattersheim von der Polizei getötet worden. Der Mann kollabierte in einem Restaurant in Hattersheim, woraufhin Sanitäter*innen anrückten. Diese riefen die Polizei, da sich der Mann aggressiv verhielt. Als der Mann die Personalienkontrolle verweigerte, eskalierte die Situation. Die Polizist*innen setzten Pfefferspray gegen den Mann ein, worauf dieser das Bewusstsein verlor und noch vor Ort wiederbelebt werden musste. Er verstarb Stunden später im Krankenhaus. Wäre die Person ohne Polizeieinsatz gestorben?
Quelle(n):

Erläuterung zu den Fällen

Jeder Fall unserer Liste ist komplex. Jeder ist anders, denn es handelt sich jeweils um ganz verschiedene Personen, die in sehr unterschiedlichen Situationen verstarben. Gemeinsam ist allen Todesfällen, dass sie im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz stattfanden. In erster Linie soll unsere Recherche für mehr Zugänglichkeit, Transparenz und Aufklärung sorgen. Es ist nicht unser Ziel eine Position des Urteilens einzunehmen, auch wenn wir sicherlich nicht ganz frei davon sind. (Gerade Schilderungen patriarchaler Gewalt oder die Bedrohung Dritter lassen uns in einem widersprüchlichen Verhältnis zu manchen Getöteten stehen.) Zudem sind unsere Kurzbeschreibungen vermutlich unvollständig. Das ist Teil des Problems und zeigt, wie dringend notwendig offizielle, unabhängige Aufklärung benötigt wird. Die schockierende Zahl von 30 Toten im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen ist für uns ein klares Zeichen eines strukturellen Problems bei der Polizei.
Ein besonderes Augenmerk unserer Recherche lag ebenfalls auf Diskriminierungsmustern wie Rassismus, patriarchaler Gewalt oder Benachteiligung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sowie wohnungslosen Menschen. Es ist wichtig anzuerkennen, dass diese Strukturen nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch die Arbeit der Polizeibeamt*innen prägen. Gerade weil viele der gestorbenen Personen mehrfach diskriminiert wurden, vermuten wir, dass ihr Umfeld teilweise ebenfalls über zu wenig Ressourcen verfügt, um eine Aufklärung zu erwirken. Ohne Druck von Seiten der Angehörigen oder einem starken lokalen Netzwerk aus Initiativen, wird nach der Pressemitteilung der Polizei, gegebenenfalls mit Ankündigung einer Ermittlung einer weiteren Polizeibehörde, nichts weiter der Öffentlichkeit gegenüber berichtet. 
Wir finden das ungerecht und fordern deshalb für jeden einzelnen Fall: Polizeiliche Verantwortung anerkennen, lückenlose und unabhängige Aufklärung der Todesfälle, transparente Öffentlichkeitskommunikation und zuletzt: Diskriminierung stoppen! Aus diesem Grund haben wir die Initiative „topa“ = „Tode bei Polizeieinsätzen aufklären!“ gegründet.
Wir kennen nicht alle Namen. Wir kennen leider auch nicht alle Positionen der Angehörigen. Falls es von Angehörigen, sei es Familie, Freund*innen oder Bekannten, an einer unserer Darstellungen Anmerkungen oder Kritik gibt, kontaktiert uns gerne unter:
initiative_topa@riseup.net
Dies gilt ebenfalls für das Ergänzen, Korrigieren und Öffentlichmachen von weiteren Informationen (z.B. Namen, Personeninformationen, Infos oder eure offenen Fragen zur Tat). Auch darüber hinaus sind wir für Kritik und Anmerkungen (z.B. zur Sprache, Listung) offen, gerade da uns die Sensibilität und Schwere des Themas bewusst ist.

Anmerkung:

  1. Unsere Recherche fand ehrenamtlich und mit begrenzten Ressourcen statt. Trotz intensiver Suche können wir die Vollständigkeit nicht garantieren.
  2. Häufig mussten wir Formulierungen aus Medienberichten und demnach auch binäre Geschlechtszuschreibungen übernehmen.
  3. Ein Femizid ist ein geschlechtlich motivierter Mord an einer Frau oder weiblich gelesenen Person durch einen Mann, mit dem sie in einer Beziehung steht. Uns haben die Femizide im Zusammenhang mit den Fällen sehr betroffen gemacht und wir ordnen sie in einen größeren, gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang von patriarchaler Gewalt und gefährlicher männlicher Sozialisation ein. Dafür gibt es auch den Begriff Feminizid, welcher die staatliche Unsichtbarmachung, Straflosigkeit und Tolerierung von Femiziden bezeichnet. Das zeigt sich in Deutschland beispielsweise an medialen Benennungen von Femiziden als „Beziehungsdrama“, wo den Getöteten eine Mitschuld an der Tat unterstellt wird. In dieser Struktur bewegen sich auch männlich sozialisierte Beamte, weswegen es schockierenderweise immer wieder zu Femiziden mit Dienstwaffen kommt (Verweis).

 

Bericht: Josef-Anton Gera Gedenkdemo und Aktionstage 2022

Josef-Anton Gera Demo 15.20.2022 – Demo in der Innenstadt

Am vergangenen Samstag, den 15.10.2022, fand die Demo in Gedenken an Josef-Anton Gera in Bochum statt. 130 Personen nahmen an dieser teil. Der Demonstrationszug startet am Bochumer Hauptbahnhof. Zunächst wurde ein Redebeitrag zum  Mord an Josef-Anton Gera verlesen. Im weiteren Verlauf folgte eine Rede des Antifa-Cafés zu rechten Morden und Queerfeindlichkeit in der Gesellschaft.

 

 

Danach zog die Demonstration ins BermudaDreieck, wo die ersten Zwischenkundgebung mit einem Redebeitrag der Antifaschistischen Gruppe V zu Wohnungslosigkeit und sozialer Ausgrenzung folgte.Die nächste Zwischenkundgebung wurde auf dem Springerplatz abgehalten. Dort wurde ein Redebeitrag zur Gedenkarbeit bezüglich Josef-Anton Gera gehalten. Auf dem frisch eingeweihten Josef-Anton Gera Platz endete die Demonstration nach einer Schweigeminute und dem Verlesen eines Statements von Josef-Anton Geras Bruder, welches wir weiter unten dokumentieren.

Am Sonntag, dem Todestag von Josef-Anton Gera, fand zudem eine kleine Mahnwache mit ca. 20 Personen an der Gedenktafel für ihn am Eingang des Westparks statt.

Gedenktafel Mahnwache für Josef-Anton Gera am 16.10.2022

In den Tagen zuvor gab es außerdem einige Graffiti- und Banneraktionen, die auf den Mord an Gera aufmerksam machten.

Antifaschistische Linke Bochum,
Oktober 2022

Ein Wunsch des Bruders von Josef-Anton Gera:

„Josef-Anton Gera wurde am 07.03.1938 in Mochau, Deutschland geboren. In einer großen, katholischen Familie mit sechs Kindern ist er aufgewachsen  und zu einem frohen, kontaktfreudigen und gerechten Mann geworden. Er teilte alles und machte keine Unterschiede- er akzeptierte jede Hautfarbe und Religion.

Er war kein Trinker und er war nicht wohnungslos. Wir wissen nicht wen und wie er liebte. Wir wissen nur, dass er liebte und starb und nichtmehr für sich sprechen kann. Also lasst ihn uns bitte erinnern, als den Menschen den wir kannten und nicht umdefinieren zu dem, wozu man ihn heute bräuchte.

Alles was wir wissen sind die Hintergünde seiner Mörder, dieser gedankenlosen Menschen – Rechtsextremismus war die treibende Kraft. Dagegen muss eingestanden werden. Respektiert seine Person und zieht klare Grenzen zwischen ihm und dem wofür ihr einsteht.

Seid reflektiert und scharfsinnig.“

Aktionstage in Gedenken an Josef-Anton Gera

Aktionstage in Erinnerung an Josef-Anton Gera

Am kommenden Sonntag, den 16.10.2022, jährt sich der Todestag von Josef-Anton Gera zum 25. Mal. Angesichts dessen rufen wir im Zeitraum vom 10.10. – 16.10. zu Aktionstagen auf. Macht in eurem Viertel oder euren Städten kleine kreative Aktionen in Erinnerung an Josef-Anton Gera, gegen Homofeindlichkeit und soziale Ausgrenzung.

Schickt uns Fotos von euren Graffiti-, Plakat- oder Banneraktionen. Postet diese ebenso über eure Kanäle und macht so auf den rechten und homofeindlichen Mord an Josef-Anton Gera aufmerksam.

Stencil:

Stencil in Erinnerung an Josef-Anton Gera

Veranstaltungsreihe im Rahmen des 25. Todestag von Josef-Anton Gera

Rundgang mit der VVN zur Situation homosexueller Menschen in der Zeit des Faschismus in Bochum
02.10.2022 14.00 Uhr Vorplatz Schauspielhaus Bochum
Lange Zeit wurde die Situation homosexueller Menschen im Faschismus auch hier in Bochum unter den Tisch gekehrt. Inzwischen gibt es in Bochum einige Gedenkorte, die an diese Opfer, ihre Verfolgung und die Folgen erinnern. Einige dieser Orte – und vor allem die Menschen, für die sie angelegt wurden – werden wir auf dem Rundgang kennenlernen. Aber auch soll die Situation für homosexuelle Menschen nach dem Faschismus beleuchtet werden und wie lange sie noch nach Ende des 2. Weltkriegs unter den von den Faschisten verschärften Gesetzen leiden mussten.

In Kooperation mit der VVN-BdA Bochum


Keine Tür zum Schließen – Dimensionen von Wohnungslosigkeit

04.10.2022 19:00 Uhr Soziales Zentrum Bochum, Josephstr. 2, 44791 Bochum
Was bedeutet Wohnungslosigkeit für Betroffene? Wie wird man eigentlich wohnungslos – und warum ist der Weg von der Straße oft so schwierig? Wo sind Hürden, Ausschlüsse – und wie sehen Hilfen und politische Maßnahmen aus?

Alexandra Gehrhardt ist Redakteurin beim Straßenmagazin bodo. Im Vortrag spricht sie über die Dimensionen von Wohnungslosigkeit, über Sicht- und Unsichtbarkeiten, Zugänge und Ausschlüsse, Bürokratie und gesellschaftliche Ausgrenzung – und über mögliche Auswege aus der Wohnungslosigkeit.

 

Kein Vergessen – Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach 1945
11.10.2022 19:00 Uhr Raum9 (Botopia), Griesenbruchstr. 9, 44793 Bochum
Über 300 Menschen wurden nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland durch rechtsmotivierte Gewalttäter gejagt, verfolgt, verprügelt, gefoltert, misshandelt und getötet. Der Autor Thomas Billstein hat mit seinem Buch »kein vergessen« die erste vollständige Dokumentation bekanntgewordener tödlicher Gewalttaten durch Rechte in Deutschland nach 1945 veröffentlicht. Auf der Veranstaltung wird er den aktuellen Stand der Forschung vorstellen, rechte Tatmotive aufzeigen und Todesopfer aus der Region benennen.

Diese Veranstaltung findet in Kooperation mit der Kulturfabrik Bochum statt.

 

Antifaschistische Linke Bochum,
September 2022

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Josef-Anton Gera – vor 25 Jahren von Neonazis erschlagen

Josef-Anton Gera Gedenkdemo und Mahnwache 2022

Auf die Straße für konsequente Erinnerungskultur von Stadt und Zivilgesellschaft!

Am 14. Oktober 1997 wurde Josef-Anton Gera mit einer Eisenstange derartig brutal zusammengeschlagen, dass er zwei Tage später, am 16. Oktober 1997 gegen 22:00 Uhr, im Krankenhaus verstarb. Die Täter: Neonazis. Das Motiv: Der Hass auf Schwule.

Neonazi-Hintergrund der Täter wird ignoriert

Weder juristisch noch medial wurde das schwulen- und menschenfeindliche Motiv der Tat aufgearbeitet, obwohl es zahlreiche Hinweise auf die Neonazi-Ideologie der Täter gab. Im Prozess kam die extrem rechte Gesinnung der Täter nicht zur Sprache. Die Stadt Bochum schenkte dem Mord, ähnlich wie Polizei und Gericht, wenig Beachtung. Folglich wurde der Fall Gera als Streit unter Trinkern abgetan. Und das, obwohl bekannt war, dass die Laube, in der die Täter wohnten und die zum Tatort wurde, mit Nazi-Symbolik wie Hakenkreuzen, Totenköpfen und SS-Runen übersäht war; obwohl ausgesagt wurde, dass die Täter Hitlergrüße zeigten und angaben „es einem Schwulen mal so richtig gezeigt” zu haben; obwohl der schwer verletzte Gera der Polizei noch sagte, dass die Täter Neonazis waren.

Josef-Anton Gera – unvergessen!

In Erinnerung an Josef-Anton Gera fanden in den vergangenen 25 Jahren kontinuierlich Gedenkaktionen, Demos und Kundgebungen statt. Lokale antifaschistische Strukturen und Einzelpersonen dokumentierten Ende der 90er Jahre den Gerichtsprozess und die lokale Berichterstattung, später trieben sie die politische Aufarbeitung der Tat voran und brachten nicht zuletzt eine Gedenkplakette am Tatort Westpark an, wodurch eine Art Mahnmal enstanden ist. Politisches Gedenken muss aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Deshalb forderten wir im vergangenen Jahr von Stadt und Politik:

1. Josef Anton Gera offiziell als Opfer rechter Gewalt in der jüngeren Geschichte der Stadt anzuerkennen.
2. Über den durch Nazis verübten Mord an Josef-Anton Gera auf der offiziellen Homepage der Stadt aufzuklären.
3. Die bisher geleistete Gedenkarbeit durch lokale Antifaschist*innen dabei zu benennen und die vor zehn Jahren angebrachte Gedenktafel anzuerkennen.
4. Einen Platz in der Innenstadt nach Josef-Anton Gera zu benennen.
5. Ein Mahnmal gegen rechte Gewalt, soziale Ausgrenzung und Homophobie zu installieren.

Stand heute: die Bezirksvertretung Mitte stimmte unserer Forderung zu, den Skateplatz am Westpark nach Josef-Anton Gera zu benennen. Ein deutliches Zeichen, dass die langjährige Erinnerungs- und Öffentlichkeitsarbeit von Antifaschist*innen wirkt und ein wichtiger Schritt für ein angemessenes Gedenken an Josef-Anton Gera.

Remembering means fighting!

Das Gedenken an Josef-Anton Gera hat für uns heute auch insofern noch große Bedeutung, als dass es Verbindungen zu aktuellen Kämpfen und ihre Verflechtungen aufzeigt. Homo-, Queer- und Transfeindlichkeit sind auch heute noch tödlich, wie nicht zuletzt in Münster deutlich wurde. Anfang September wurde nach dem CSD der trans Mann Malte umgebracht, nachdem er bei einer verbalen Anfeindung gegen Homosexuelle interveniert hat. Auch in Bremen und Dortmund wurden trans Menschen angegriffen und verletzt. Bei diesen Fällen waren die Täter keine klassischen Neonazis. Das zeigt, wie sehr Trans- und Homofeindlichkeit in der sogenannten Mitte der Gesellschaft verankert sind und was für eliminatorische Züge sie annehmen.

Raus auf die Straße!

Gedenkdemo:
15.10.2022 – 14:00 Uhr
Bochum HBF

Mahnwache:
16.10.2022 – 11:00 Uhr
Eingang Westpark (DGB Haus)

Antifaschistische Linke Bochum,
September 2022

Anmerkung: Auf sich bereits im Umlauf befindlichen Stickern ist die Mahnwach auf den 17.10. terminiert. Dies ist leider falsch, da wir die Mahnwache auf den richtigen Todestag den 16.10. geschoben haben. Viele Jahre wurde fälschlicherweise der 17.10. als Todesdatum genannt.

Rechte Hegemonie – Wie Neonazis ostdeutsche Gemeinden kapern

Veranstaltungstour mit Colorido e.V.: Rechte Hegemonie – Wie Neonazis ostdeutsche Gemeinden kapern

Gibt es ein Ost-West-Gefälle beim Rechtsradikalismus in der BRD? Vieles deutet darauf hin: Bei den Bundestagswahl 2021 hatte die AFD im Westen hohe Wahlverluste, im Osten dagegen konnte sie bei den Direktmandaten kräftig zugewinnen. Verschiedenste faschistische Organisationen wie der III. Weg, eine Kleinstpartei mit klarer nationalsozialistischer Programmatik, sind in ostdeutschen Kleinstädten verankert. Aber dieser sog. ostdeutsche Rechtsradikalismus hat sich vielerorts erst durch massive Zuzüge aus dem Westen entfalten können.

2014 siedelte der Neonazi Tony Gentsch zusammen mit einigen Familien aus Bayern in die sächsische Kleinstadt Plauen (60.000 Einwohner*innen) um. 2017 eröffnete der III. Weg hier das erste Parteibüro und erwarb in den Folgejahren mehrere Immobilien. Mit Angeboten wie Hausaufgabenbetreuung, Bastelnachmittage, Sportkurse, Kinderfreizeit, Volksküche und Kleiderkammer – natürlich nur für “Deutsche” – stopften die Neonazis Löcher der soziokulturellen Infrastruktur der Stadt. Ende Mai 2019 zog der III. Weg mit einem Mandat in das Plauener Kommunalparlament ein.

Während der Corona-Pandemie konnten die Nazis ihr Wirkungsfeld und ihren Einfluss auf das konservative bis rechtsoffene Bürgertum in Plauen verstärken. Die CDU Plauen sieht den III. Weg als „demokratische Kraft“ an. Mit seiner Unterstützung strich die CDU dem „Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage“ im April 2021 die städtischen Zuschüsse.

Gegen diese Normalisierung rechter Akteur:innen kämpft der Verein „Colorido e.V.“ in Kooperation mit dem Netzwerk „Vogtland nazifrei“ an. Von seinen Erfahrungen wollen wir profitieren und haben ihn deshalb eingeladen, im Ruhrgebiet und in Düsseldorf von seiner Arbeit zu berichten. Begleitend zeigt Colorido e.V. die Ausstellung „Plauen auf dem Holzweg? – SUR LA PISTE BRUNE DE LA TROISIÈME VOIE“, die die Ereignisse in Plauen darstellt und kommentiert.

Donnerstag 22.09.2022, 19:00 Uhr, Soziales Zentrum Bochum
Freitag 23.09.2022, 19:00 Uhr, Trotz Allem Witten
Samstag 24.09.2022, 19:00 Uhr, Hauptstr.181, 44652 Herne
Sonntag 25.09.2022, 19:00 Uhr, ZAKK Düsseldorf

Eine Veranstaltungsreihe organisert von:

Kulturfabrik Bochum
Antifaschistische Linke Bochum
Trotz Allem Witten
KAZ Herne
ZAKK Düsseldorf
Rosa Luxemburg Stiftung
and Friends

Josef Anton Gera – Schreiben an Bochumer Stadtrat

Wir wollen auf einen Mordfall aufmerksam machen der trotz eines
offenkundig extrem rechten und homosexuellenfeindlichen Tatmotivs bislang von offizieller Seite weitgehend unbeachtet und unaufgearbeitet bleibt.

Wir kämpfen auch 25 Jahre danach für eine angemessene Erinnerungskultur von Stadt und Zivilgesellschaft!

Deshalb richten wir uns mit folgendem Schreiben an die Bochumer Stadtpolitik, um für unsere Forderungen und ein würdiges Andenken an Josef Anton Gera in ihren politischen Gremien einzutreten:

Sehr geehrte Mitglieder des Bochumer Stadtrates,

wir wollen Sie mit diesem Schreiben auf einen Mordfall aufmerksam machen. Trotz des offensichtlichen extrem rechten und homosexuellenfeindlichen Tatmotivs bleibt der Fall bislang von offizieller Seite weitgehend unbeachtet und unaufgearbeitet.

Am 17. Oktober 2022 jährt sich der Todestag von Josef Anton Gera zum 25. Mal. Josef Anton Gera wurde aufgrund seiner sexuellen Orientierung, er war homosexuell, von Nazis ermordet.

Am 14. Oktober 1997, 3 Tage vor seinem Tod, wollte Gera mit einigen Bekannten aus dem Wohnungslosenmilieu etwas trinken. Doch zwei seiner Bekannten, der damals 26-jährige Patrick K.und der 35-jährige Uwe K., hatten anderes im Sinn und wollten ihm, laut eigener spätererAussage, „eine Abreibung“ verpassen. Dazu suchten sie mit Josef Anton Gera eine Laube aufdem ehemaligen Krupp Gelände an der Bochumer Alleestraße auf. Dort entkleidete Patrick K.seinen Oberkörper, um Josef Anton Gera zum „Anfassen zu reizen“ um dann zuschlagen zukönnen. Gera kam der Aufforderung nach.

Darauf hatten die beiden nur gewartet und schlugen unvermittelt mit einer Eisenstange auf Josef Anton Gera ein. Dieser konnte sich schwerverletzt zur Straße schleppen und der herbei gerufenen Polizei noch mitteilen, dass er von Nazis angegriffen wurde. Josef Anton Gera erlag drei Tage später, am 17. Oktober 1997, im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.

Neben der Aussage von Josef Anton Geras weisen die Umstände der Tat darauf hin, dass der Hass auf Homosexuelle durch die Nazi-Ideologie der beiden Täter bedingt war. Ihre Schilderung, „es einem Schwulen mal so richtig gezeigt“ zu haben, schlossen sie mit dem Ausruf „Sieg Heil!“. Auch am Tatabend fielen „Sieg Heil!“-Parolen und der Hitlergruß wurde gezeigt. Die Laube, in der die Tat stattfand und in der Geras Mörder lebten, war mit Hakenkreuzen, Totenköpfen und SS-Runen beschmiert.

Trotz dieser Tatsachen erkannten weder Polizei noch Staatsanwaltschaft ein rechtsextremes Tatmotiv. Im Gerichtsprozess wurde die rechtsextreme Gesinnung der Täter nicht zum Thema gemacht.

Auch in der Stadt Bochum hat von offizieller Seite noch keine Auseinandersetzung mit dem rechten Mord auf Bochumer Stadtgebiet stattgefunden.

Es waren lokale antifaschistische Strukturen, die den brutalen Mord an Josef Anton Gera als rechte Tat aufarbeiteten und dokumentierten, und das Gedenken an ihn aufrecht erhalten haben. So war es die Gruppe Azzoncao, die eine ausführliche Dokumentation erstellte. Es waren antifaschistische Jugendliche vor rund zehn Jahren, die ein Gedenken initiierten. Und es waren Bochumer Antifaschist*innen, die eine Gedenktafel am Bochumer Westpark anbrachten und durch vielfältige künstlerische Aktionen jährlich auf den Mord aufmerksam machen und an Josef Anton Gera erinnern.

Im Jahr 2021, am 24. Todestag von Josef Anton Gera, zogen Bochumer Antifaschist*innen in einer Demonstration vom Rathaus zur Plakette im Westpark und stellten ihre Forderungen an die Stadt Bochum.

Diese Forderungen wollen wir Ihnen als Mitglieder des Bochumer Stadtrates gerne persönlich zukommen lassen und weiter erläutern:

1. Wir fordern die Stadt Bochum auf, Josef Anton Gera als Opfer rechtsextremer Gewalt in der jüngeren Geschichte der Stadt anzuerkennen. Gera wird bereits u.a. von der Amadeu Antonia Stiftung als Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990 genannt. Die Stadt einen ebenso offensiven Umgang mit der Tat üben.

2. Zu einem offensiven Umgang mit dieser Tat gehört, dass die Stadt auf der städtischen Homepage über diesen Mord aufklärt und die Rolle des Gerichtsverfahrens, in welchem ein extrem rechten Hintergrund der Tat geleugnet wurde, kritisch hinterfragt werden. Das wäre aus unserer Sicht ein souveräner, offener Umgang mit der lokalen Geschichte.

3. Gruppen wie das Politcafé Azzoncao dokumentierten den Mord in den 90er Jahren durch akribische Recherche und kritische Prozessbeobachtung. Es waren lokale antifaschistische Gruppierungen, die in den Folgejahren durchgehend an Gera erinnerten und vor elf Jahren am Eingang zum Westpark eine Gedenktafel anbrachten, die an Josef Anton Gera erinnern und als Mahnmal dienen sollte. Wir wollen, dass die Stadt die Gedenktafel anerkennt.

4. Wir fordern, dass ein Platz in der Innenstadt nach Josef Anton Gera benannt wird. Das wäre ein würdiges Gedenken seitens der Stadt. Unser Vorschlag ist es, den Platz vor dem GHotel an der Alleestraße, den Skater*innen und andere Menschen bei gutem Wetter regelmäßig nutzen, Josef Anton Gera zu widmen. Der Platz hat bislang noch keinen Namen.

5. Zu einem ernsthaften Umgang mit den Themen Homophobie und rechte Gewalt gehört dazu, Sichtbarkeit und Öffentlichkeit zu schaffen. Wir wollen, dass die Stadt ein offizielles Mahnmal gegen Ausgrenzung und Homophobie installiert. Das könnte auf dem Josef-Anton-Gera-Platz sein oder an einem anderen prominenten Ort in Innenstadtnähe.

Wir rufen Sie als Mitglieder des Stadtrates dazu auf unsere Forderungen auch in den Rat als höchstes politisches Gremium der Stadt zu tragen und diese zu unterstützen.

Treten Sie mit uns gemeinsam dafür ein, dass die Stadt Bochum die Erinnerung an Josef Anton Gera in würdevoller Weise bewahrt und ein Zeichen für Demokratie und Menschenrechte setzt!

Mit freundlichen Grüßen,

Antifaschistische Linke Bochum
Animal Voices Bochum
Antifa Essen West
Antifaschistische Gruppe 5
Antifaschistische Linke Münster
Atelier Automatique
Autonome Antifa 170 (Dortmund)
Bochumer Bündnis gegen Rechts
CSD Bochum
Die Falken Bochum
DKP Bochum
Donnerlüttchen
eklat münster
Fantifa Bochum
Fridays for Future Bochum
Fritz Bauer Forum
Furore Bochum
Gras Bochum
Linke Liste Bochum
Mean Street Antifa
Migrantifa Bochum
Non a Parole
Offenes Antifa Cafe Bochum
Rojava Solidarität Bochum
Rosa Strippe e. V.
Seebrücke
Stadt für Alle
Trotz Allem Witten
VVN BdA Bochum

Entschlossenes Zeichen: 500 Menschen bei der Revolutionären Vorabenddemo 2022

Am Samstagabend den 30.04 2022 fand die 5. Revolutionäre Vorabenddemo unter dem Motto „Klassensolidarität statt staatlicher Autorität“ statt.

Ab 19:00 Uhr versammelten sich in der Spitze bis zu 500 Personen am Dr. Ruer Platz in der Bochumer Innenstadt, um von dort aus in einem kraftvollen Demonstrationszug durch Bochum zu ziehen.

Wer in den Vorwochen aufmerksam durch Bochum lief, wurde auf die anstehende Demonstration aufmerksam. So fanden über 700 Plakate und 4.000 Aufkleber den Weg in Bochums Straßen, auch ein Graffiti wurde angefertigt und tausende Flyer in verschiedenen Vierteln verteilt. Ein Dank geht hierbei an alle „helfende Hände“, die sich bei der Vorbereitung der Demonstration eingebracht und mit angepackt haben.

Die Demo

Ab 19:00 füllte sich der Dr. Ruer Platz zunehmend und der Anmelder eröffnete die Veranstaltung und verlas die Auflagen. Unter anderem waren der Konsum von Alkohol und das Abbrennen von Pyrotechnik durch die Polizei untersagt worden, es gab weiterhin keine ungewöhnlichen Auflagen seitens der Cops.

Anschließend begann die Auftaktkundgebung und der Aufruf wurde verlesen. Der erste Redebeitrag wurde von der offenen Antifa-Jugend Bochum „Get active“ gehalten und thematisierte den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Hierbei wurde unter anderem die milliardenschwere Aufrüstung kritisiert. Anschließend informierten Genoss*innen aus Dortmund über die anstehenden Aktionen gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai in Dortmund. Zum Abschluss sprach ein Genosse von Ver.di und kündigte den anstehenden Streik im Gesundheitssektor in NRW an. Seit Sonntag dem 1. Mai 2022 werden sechs Unikliniken in NRW bestreikt. Unsere volle Solidarität gilt selbstverständlich den Streikenden!

Hiernach stellte sich die Demo auf und lief zügig und entschlossen Über die Kortumstraße zum Rathaus. Dort folgte die erste Zwischenkundgebung. Es folgte ein Redebeitrag von „AfD Watch Bochum“ über die anstehenden Landtagswahlen und warum die AfD keine Option für Arbeiter*innen darstellt. Des Weiteren stellte sich die neu gegründete Migrantifa Gruppe aus Bochum als Anlaufstelle für rassifizierte Personen, die sich antifaschistisch engagieren möchten, vor.

Von dort aus lief die Demo eine Runde über den West- und Nordring zur Hernerstraße und quer durch die Innenstadt zum Musikforum, um die zweite Zwischenkundgebung abzuhalten.

Diese wurde von „Furore“ einem feministischen Kollektiv aus Bochum eröffnet. Die Genoss*innen stellten die historische Herabsetzung der Frau im Kapitalismus und der Verbindung zur Hexenjagd im Mittelalter anlässlich der Verknüpfung des 30. April mit der Walpurgisnacht dar. Der zweite Redebeitrag wurde von der „4-Stunden Liga“ gehalten. Die „4-Stunden-Liga“ ist ein bundesweites Bündnis, das eine Arbeitszeitverkürzung auf 4 Stunden am Tag fordert, bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf Kosten der Arbeitgeber*innen. In ihrem Redebeitrag konzentrierte sich die „4-Stunden-Liga“ jedoch über die Notwendigkeit einer linken Fehlerkultur.

Hiernach zog die Demonstration über die Viktoriastraße weiter in Richtung Schauspielhaus. Während die „Bermudabrücken“ unterquert wurden, grüßten Antifaschist*innen die Demonstration mit einem Bannerdrop und einer Pyroshow. Zwar machten sich die Cops auch auf den Weg auf die Brücke, jedoch konnten die beiden Zivis nur noch das schöne Transparent einsacken. Spürbar angeheizt, begleitet von kleinen Lichteffekten, erreichte der Demonstrationszug den Ort der letzten Zwischenkundgebung, das Schauspielhaus.

Am Schauspielhaus angekommen hielt die F:antifa, eine antifaschistische Gruppe aus Bochum, die feministische Themen stärker in den Fokus ihres Handelns rücken will, einen Redebeitrag. Dieser thematisierte Transfeindlichkeit und feministische Solidarität. Das Solidaritäts Bündnis Rojava hielt einen weiteren Redebeitrag zu den aktuell stattfindenden türkischen Angriffen auf die kurdischen autonomen Gebiete und rief zu internationaler Solidarität auf.

Vom Schauspielhaus aus lief der Demonstrationszug über die Oskar-Hoffmann-Straße in Richtung des Alsenkiezes. Hierbei wurde auch die Kneipe „Linie 5“ an der Kreuzung Oskar-Hoffmann-Straße Unistraße gekreuzt und von der Demo entsprechend gegrüßt.

Die Line 5 fällt leider schon seit der Inbetriebnahme der neuen Eigentümerinnen durch krude Gestalten auf, die sich dort regelmäßig treffen. So waren auch diesmal wieder Personen aus dem rechten Hooligan- und Rockermilieu zugegen. Unter ihnen weilte an diesem Abend der häufige Gast Thorsten Sallay, der unter anderem an der Planung und Durchführung der HoGeSa-Demonstrationen beteiligt war. Außer dem nervösen Auftreten einiger Cops hatte das Aufeinandertreffen keine Folgen. Die Demo zog lautstark in die Alsenstraße ein und zog die Blicke der Nachbar*innen auf sich.

Ein paar Meter weiter staunten die Teilnehmenden der Demo nicht schlecht, als die ganze Straße durch Pyrotechnik auf den Dächern erleuchtet wurde, was selbst bei den Cops für gute Unterhaltung sorgte.

Von der Alsenstraße ging es über die Wittener Straße zum Hauptbahnhof, wo die Demo endete.

Ein Dank gilt allen Menschen, die an der Planung und Durchführung der Demonstration beteiligt waren und während der Demo Aufgaben übernommen und so zu einem gelungen revolutionären Vorabend beigetragen haben. Ein besonderer Dank gilt dem Saniteam, der Initiative zur Polizeibeobachtung sowie dem Ermittlungsausschuss, die an diesem Abend eine sichere Demonstration für alle gewährleisteten.

Wir sehen uns auf der Straße!

 

Fotos:

 

Bochumer Neonazis bei Nazi-Demonstration am 1. Mai 2022 in Dortmund

Am vergangenen Sonntag fand anlässlich des 1. Mai in Dortmund eine Demonstration von Neonazis um die Partei „Die Rechte“ statt. Auch Nazis aus Bochum nahmen an der schwach besuchten Veranstaltung teil.

Unter den 220 anwesenden Nazis befand sich der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer aus Wattenscheid. Er ist verurteilter Volksverhetzer und übernimmt auf rechten Demos oft die fruchtlose „Medienarbeit“.

 

Auch Parteikollege Karsten Römhild nahm an der Veranstaltung teil. Römhild ist seit über dreißig Jahren NPD Mitglied und lebt im Bochumer Ehrenfeld. Zuletzt zeigte er sich beim Trauermarsch für Siegfried „SS Siggi“ Borchardt.

Ebenfalls nahmen Robert und Sandra Bischoff am Nazi-Aufmarsch teil. Beide gehören zum Umfeld der Bochumer-NPD. Sie tauchen gemeinsam seit 2018 bei Naziveranstaltungen auf und sind gelegentlich anwesend wenn die NPD-Stände durchführt.

Mit Pascal Seifert nahm zudem ein Neonazi teil über den wir bereits 2018 aufgrund seiner mehrfachen Übergriffe im Bochumer Stadtgebiet berichteten. Im letzten Jahr wurden bei Twitter Sprachnachrichten veröffentlicht, in denen Seifert den Holocaust leugnet/relativiert und offen Gewalt androht.

Holger-Nils Hölper ist u.a. wegen Volksverhetzung vorbestraft und besuchte vor einigen Wochen die Spaziergänge der Querdenken Szene in Bochum. Bei rechten Demos in NRW wird er oftmals von seinem Sohn begleitet, so auch Sonntag.

Falls in den kommenden Tagen noch weitere Bilderstrecken veröffentlicht werden und sich ergibt, dass weitere Bochumer Neonazis an der Demonstration teilgenommen haben, werden wir dies an dieser Stelle aktualisieren.

Antifaschistische Linke Bochum,
Mai 2022

Revolutionäre Vorabenddemo 2022: Klassensolidarität statt staatlicher Autorität

Klassensolidarität statt staatlicher Autorität: Für die befreite Welt!

Die Krise ist noch nicht vorbei, aber wir sind wieder auf der Straße! Die letzten zwei Jahre haben uns erneut vor Augen geführt, dass auf Staat und Markt natürlich kein Verlass ist. Es gibt nur eine Alternative: Die Revolution zur Zerschlagung des Kapitalismus und zur Schaffung einer befreiten Welt.

Kapitalismus und Faschismus gehen Hand in Hand

Der organisierte Antifaschismus ist seit Anbeginn eng mit dem Klassenkampf verbunden. Sei es der Widerstand der Komintern gegen Mussolinis Schwarzhemden, der aufopferungsvolle Kampf der internationalen Brigaden gegen Francos Falange oder der kommunistische und sozialistische Widerstand gegen das nationalsozialistische Hitlerregime. Auch heute gehen Faschismus und Kapitalismus Hand in Hand und es ist unsere Aufgabe als Antifaschist*innen, den Kampf um Befreiung der arbeitenden Klasse als einen intersektionalen und internationalen Kampf zu erkennen und zu führen.
In den Zeiten der Krisen, sei es die noch immer grassierende Corona-Pandemie, steigende Preise auf den Weltmärkten oder der imperialistische Krieg Russlands gegen die Ukraine.

Befreit vom Joch der Lohnarbeit

Unsere Vision einer Gesellschaft steht diesem Status quo entschieden entgegen, denn wir streben nach der Befreiung der Arbeiter*innen vom Joch der Lohnarbeit. Wir fordern einen solidarischen Zusammenhalt der arbeitenden Klasse, in der die Motivation zum gesellschaftlichen Fortschritt über sozialdarwinistische Leistungsmentalität obsiegt. Hierfür ist es unablässig, dass sämtliche Produktionsmittel und Industrien vergesellschaftet werden, die Arbeiter*innen die Geschicke ihrer Betriebe in die Hand nehmen und das Wohle aller im Mittelpunkt jeder gesellschaftlichen und ökonomischen Entscheidung steht.

Alle Parteien im deutschen Bundestag stützen das kapitalistische System, mit ihnen ist eine Klassenlose, befreite Gesellschaft nicht möglich.

Den Faschismus zerschlagen und mit all seinen Wurzeln herausreißen!

Die Geschichte unserer revolutionären Vorabdemo ist eng verbunden mit den Aufmärschen von Nazis im Ruhrgebiet. Traditionell verabredeten sich die Ruhr-Nazis zum 1. Mai, um ihre Propaganda zu verbreiten und aufzumarschieren. Um die antifaschistische Szene zu vereinen, sollten nicht viele kleine Demos in unterschiedlichen Städten am 1. Mai stattfinden. Daraus entstand die Idee am Vorabend in Bochum eine linksradikale Demo zu organisieren.

Auch wenn sich einige Nazistrukturen vom Ruhrgebiet nach Ostdeutschland verlagert haben, gilt es den Faschismus mit aller Härte zu bekämpfen, nicht nur ihr parlamentarischer Arm in Form der AfD. Unser Ziel muss bleiben, den Faschismus vollkommen zu vernichten!

Unsere Solidarität gegen ihre Repression!

In Nordrhein-Westfalen sehen wir deutlich, dass die Politik einen vehementen Klassenkampf von oben führt. Das neue Versammlungsverhinderungsgesetz der nationalkonservativ-neoliberalen Landesregierung ist ein extremer Angriff auf die organisierte Linke, auf progressive Klimaproteste und die Arbeiter*innenklasse.

Kurz vor Weihnachten und mitten in der winterlichen Coronawelle verbaten sich die Regierungsparteien CDU und FDP jegliche Kritik am neuen Gesetz und verabschiedeten es mit ihrer knappen Mehrheit im Düsseldorfer Landtag.

Schon im Vorfeld hat das VersG NRW für massive und berechtigte Proteste gesorgt. Demonstrationen fanden statt, Menschen aus verschiedenen politischen Kontexten gingen zusammen auf die Straße – ein gemeinsames Bündnis entstand. Trotz Beschränkungen aufgrund der Pandemie fanden wir zusammen, um gemeinsam gegen ein offensichtliches Versammlungsverhinderungsgesetz zu kämpfen. Somit ereignete sich das genaue Gegenteil von dem, was die Landesregierung beabsichtigte. Statt einer Spaltung innerhalb der progressiven Linken gingen linksradikale Gruppen gemeinsam mit Gewerkschaften, progressiven Parteien, der Fußballfanszene und der Klimabewegung auf die Straße. Sie bündelten ihre revolutionäre Kraft, um dem repressiven Staat eine Gegenmacht zu präsentieren. Die Antwort der Landesregierung war knapp und brutal: um ihren legislativen Frontalangriff auf die grundgesetzlich verbriefte Versammlungsfreiheit Gesetz werden lassen zu können, sahen sich die Demonstrationen brutalen Angriffen der Polizei ausgesetzt. Hardliner Herbert Reul wusste es, die Fakten des staatlichen Terrors gegen diejenigen, die die Versammlungsfreiheit verteidigten, ins Gegenteil zu verkehren.

Die Herrschenden wollen ihre repressiven Gesetze durchsetzen, koste es, was es wolle. Und die Polizei als deren Erfüllungsgehilfen prügeln ihre Interessen mit Schlagstöcken durch.

Diese Repression reiht sich ein in immer offensichtlichere Schläge gegen Linke, insbesondere Antifaschist*innen und Klimaaktivist*innen. Es wird versucht Exempel zu statuieren, in dem Linke als Terrorist*innen verfolgt werden. Aber wir lassen uns nicht zerschlagen! Lasst uns am Vorabend des ersten Mai und am internationalen Arbeiter*innenkampftag genauso zusammenstehen wie gegen das Versammlungsgesetz. Denn wir als Unterdrückte haben ein gemeinsames Ziel: eine solidarische Welt ohne die Vormachtstellung kapitalistischer und regressiver Kräfte und Interessen. Lasst uns diese Kämpfe gemeinsam führen, denn niemand sonst als wir selbst können unsere Interessen vertreten und unsere Befreiung erkämpfen. Nur mit unserer gemeinsamen Solidarität haben wir eine Chance gegen die Übermacht von Staat und Kapital.

Alles neu macht der Mai?

Am 15. Mai 2022 findet in NRW die Landtagswahl statt und fünf Jahre der neoliberalen, arbeiter*innenfeindlichen Politik von CDU und FDP kann an den Wahlurnen ein Ende gesetzt werden.
Bei der Bundestagswahl 2021 gab es nach 16 Jahren CDU/CSU dominierter Regierungsbildung mit Gründung der Ampelkoalition einen vermeintlichen Umbruch in der Ausrichtung Deutscher Bundespolitik.

Doch diese angebliche Wende bewies bereits nach weniger als 100 Tagen, dass sie die hässliche Fratze des Neoliberalismus nur hinter vermeintlich progressiven Kleinstprojekten versteckt. So richtig die Streichung des §219a StGB („Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche), die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes oder einer feministisch geprägten Außenpolitik sind, ist dies nur eine Aufarbeitung der schlimmsten Versäumnisse der Merkel-Ära. Die vergangenen Monate haben deutlich bewiesen, dass sich an der zugrundeliegenden Situation für die große Mehrheit der Gesellschaft auch mit neuem Anstrich nichts verändert hat, und zeichnen ein düsteres Bild für die Zukunft.

Während die Preise für Lebensmittel, Wohnraum, Dinge des täglichen Bedarfs sowie Energie weiter ungebremst in die Höhe klettern, verabschiedet die Ampel eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, die sich nicht im Geringsten an der Inflationsrate orientiert und baut den Niedriglohnsektor mit der neuen 520-Euro-Grenze für Minijobs aus. Die gesamte Sozialpolitik der neoliberalen Ampel ist darauf ausgerichtet, die herrschenden Verhältnisse nicht nur zu manifestieren, sie verschlimmert die Situation der lohnabhängigen Bevölkerung Durch diese wohlüberlegten Maßnahmen wird erreicht, dass die Kapitalist*innen ihren Besitz mehren können, indem für die Arbeiter*innen oftmals nicht einmal genug Geld übrig bleibt, um gut zu essen und gleichzeitig zu heizen.
Ein weiteres Anzeichen für die marktradikale Einstellung der Regierung ist der über Nacht beschlossene milliardenschwere Bundeswehretat. Die Regierung stellt 100 Milliarden für die Rüstung in Aussicht, Aktien der deutschen Rüstungsindustrie schnellen in die Höhe und Finanzminister Christian Lindner kündigte bereits an, dass die geplante Finanzierung der Bundeswehr mit Verfassungsrang zulasten der sozialen Absicherung durchgesetzt werden wird. Dass plötzlich Gelder in Milliardenhöhe in die Aufrüstung fließen sollen, ist ein Hohn angesichts der Tatsache, dass für die Finanzierung in Klimaschutz, Bildung, ÖPNV oder soziale Sicherung jahrelang angeblich keine Ressourcen vorhanden waren. Doch damit nicht genug: all diese Bereiche werden der neuen Kriegspolitik der Scholz/Lindner-Regierung langfristig zum Opfer fallen.

Doch sind wir dem nicht ausgeliefert! Wir glauben nicht, dass eine der bei dieser Wahl aussichtsreichen Parteien unsere Interessen vertreten kann. Daher liegt es an uns, unsere Anliegen nicht nur zu formulieren, sondern aktiv an den Utopien, die wir Wirklichkeit werden lassen wollen, zu arbeiten. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selbst tun!

Trotz aller Kritik an Wahlen und Parlamentarismus bietet die vor uns liegende Landtagswahl die Möglichkeit, die faschistische „Alternative für Deutschland“ (AfD) für die nächsten 5 Jahre um ihren Platz im Landtag zu bringen. Die Umfragewerte sinken und die 5%-Hürde für einen Sitz im Landtag könnte sie zu Fall bringen. Wir alle wissen, dass die AfD rassistisch, sexistisch, klimafeindlich und marktradikal und damit Gift für unsere Gesellschaft ist. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, genau das auch immer wieder zu betonen. Die AfD ist nie über den Status einer Protestpartei hinausgekommen und hat sich selbst durch interne Streitereien, eine deutliche Verortung innerhalb der extremen Rechten und haltlosen Positionierungen zur Pandemie oder zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine an den Rand des parlamentarischen Abgrunds manövriert. Nun ist es an uns allen, ihr den Stoß in die außerparlamentarische Opposition und so in die Bedeutungslosigkeit zu verpassen! Natürlich wäre mit einer Wahlniederlage der AfD erst eine einzige Schlacht im Klassenkampf gewonnen, denn die neoliberale und in weiten Teilen protofaschistische Ideologie des Kapitalismus wird nicht allein von faschistischen Parteien aufrechterhalten, doch sobald der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus von Ämtern und Geldern abgeschnitten ist, kann der Kampf gegen die Vorfeldorganisationen der faschistischen und neoliberalen Hegemonie fortgeführt werden.

Nie wieder Krieg – hoch die internationale Solidarität!

Das Sterben und Leiden in der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg nimmt kein Ende. Die Situation ist grauenvoll und bestürzend: zivile Ziele werden beschossen, ganze Städte sind wochenlang von Strom und Versorgung abgeschnitten und eine Evakuierung von Zivilist*innen scheint teilweise unmöglich. Einmal mehr bewahrheitet sich, dass Chauvinismus, Nationalismus und Imperialismus gepaart mit einem rechten, autoritären Herrscher geradewegs zu Krieg und Elend führen. Und die Schlüsse, die NATO und Deutschland daraus ziehen, schlagen in die gleiche Kerbe: Aufrüstung und Abschottung. Das toxische Gebaren der Herrschenden und eine Politik, die selbst in Despoten und Diktatoren noch geeignete politische Partner sieht, solange sich aus diesen Beziehungen Profit schlagen lässt, führten in diesen Krieg! Wir fordern eine feministische Außenpolitik, die nicht auf Wettrüsten und imperialistische Gebietsansprüche, sondern auf Dialog, Sanktionen gegen die Aggressoren-Elite und Solidarität setzt!

Für eine friedliche Lösung können wir weder auf die NATO noch auf Russland, China oder eine andere nach Weltmacht strebende Nation setzen. Unsere Perspektive sind nicht Staaten und Militärbündnisse, sondern Menschen und die Zivilgemeinschaft. Wir stehen solidarisch an der Seite aller Menschen, die gerade unter dem von Putin zu verantwortenden Angriffskrieg leiden. Wir stehen solidarisch an der Seite der notleidenden Menschen in der Ukraine und ebenso an der Seite der mutigen Menschen in Russland, die dort trotz massiver Repression gegen den Krieg protestieren.

Lasst uns nicht aufhören, unsere Solidarität praktisch werden zu lassen! Diese Solidarität darf sich nicht auf den jetzigen Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung beschränken. Zwar ist es richtig und notwendig, Betroffene zu unterstützen und kontinuierlich Zeichen zu setzen, doch die internationale Solidarität darf sich niemals an den Kriegen von Nationalist*innen und Kapitalist*innen orientieren. Viel wichtiger ist es, die Logik des Krieges als Konsequenz von Imperialismus, Weltmachtdenken und der kapitalistischen Hegemonie zu begreifen. Krieg richtet sich nicht gegen die Bourgeoisie, sondern immer nur gegen die arbeitende Klasse. Wir Proletarier*innen sind es, die dem Krieg zum Opfer fallen. Arbeiter*innen werden als Kanonenfutter dem Feind entgegengeschleudert und die Kriegsindustrie weltweit profitiert vom vergossenen Blut des Proletariats. Kein*e Arbeiter*in will in den Krieg ziehen, keine proletarische Familie will ihre Kinder an die Interessen der Kriegstreiber verlieren. Daher sagen wir jetzt und für immer: Nein zum Krieg – für die internationale Solidarität!
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Opfer des Krieges nicht nur auf dem Schlachtfeld zu finden sind: durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist die Lebensmittelversorgung von Millionen Menschen gefährdet. Gerade und vor allem der afrikanische Kontinent leidet unter den drohenden Ernteausfällen der Ukraine. Hier leiden die Menschen natürlich nicht allein an den Folgen des Krieges in Europa, sondern sind gefangen in postkolonialen Strukturen, die die Abhängigkeit des Proletariats auf dem afrikanischen Kontinent vom durch den globalen Norden dominierten Weltmarkt noch immer manifestieren. Auch ihnen gilt unsere ganze Solidarität!

Gegen den Rassismus der Festung Europa

Die europäischen Staaten haben die Grenzen geöffnet für Ukrainer*innen, die vor russischen Bomben und Angriffen fliehen. Aber nicht alle Menschen werden mit offenen Armen empfangen. Wenn sie Schwarz sind oder sie über keinen ukrainischen Pass verfügen, werden sie von Repressionskräften rausgezogen, zurückgeschickt oder – wie an der belarussischen Grenze – mit Gewalt davon abgehalten die Grenze zu überqueren. Der Hass auf Geflüchtete geht weiter, ob an den EU-Grenzen in Osteuropa, im Mittelmeer oder in den Lagern in Südeuropa. Nicht alle „Helfer*innen“ haben gute Absichten, so versuchen Kapitalist*innen die Not der Geflüchteten auszunutzen und zwingen Menschen zu sexuellen Handlungen oder versuchen sie zu Arbeit in z.B. Schlachthäusern zu zwingen. Eine wirklich menschliche Welt ist nur möglich, wenn alle Menschen, unabhängig von äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe sich frei bewegen können. Dies wird leider erst in einer befreiten Welt ohne Nationen und Grenzen möglich sein.

Keine Krisenlösungen auf unserem Rücken!

Dass verschwörungsideologische Erzählungen eine Gefahr darstellen, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Selbsternannte Impf- und Maskengegner*innen radikalisieren sich unter dem Namen „Querdenken“ immer weiter, teilen antisemitische Inhalte, relativieren oder leugnen gar den Holocaust und gehen bedenkenlos mit Neonazis auf die Straße. Dabei nimmt die Anzahl an gewalttätigen Auseinandersetzungen auf Demonstrationen zu, sowie Angriffe auf Journalist*innen, die eben jene Veranstaltungen beobachten. Das können und dürfen wir so nicht hinnehmen!

Die Pandemie bringt neben Querdenken und Verschwörungsmythen jedoch deutlich mehr Probleme mit sich. Auch nach inzwischen zwei Jahren Pandemie hat sich die prekäre Situation im Gesundheitssystem nicht gebessert. Krankenhäuser werden weiterhin profitorientiert organisiert, Pflegekräfte und Krankenhauspersonal erhalten trotz Mehrarbeit und etlichen Überstunden keine faire Bezahlung.
Krankenhäuser sollten in keinem Falle dafür da sein, weiter Profite zu generieren, sondern die Gesundheit der Menschen zu gewährleisten und in den Fokus zu stellen. Daher fordern wir eine Vergesellschaftung der Krankenhäuser und des Gesundheitssystems.

Auch die halbherzig gestartete Impfkampagne war bei der Bekämpfung der Pandemie keine große Hilfe. Zum Jahreswechsel 2020/2021 wurden die ersten Impfstoffe zugelassen und bis dato konnten sich in Deutschland alle impfen lassen – zumindest diejenigen, die über einen entsprechenden Zugang zum medizinischen System und Informationen rund um die Impfung verfügen.

Dabei lassen Pharmaindustrie und Impfstoffentwickler*innen auch weiterhin keine Möglichkeit aus, noch mehr Gewinne zu generieren. In Ländern des globalen Südens warten die Menschen weiterhin auf ihre Teilimmunisierung. Stimmen aus Medizin und Wissenschaft, die bereits vor einem Jahr auf mögliche Mutationen hingewiesen haben und die Freigabe von Impfpatenten forderten, wurden ignoriert. Stattdessen bringt die in Deutschland vorherrschende Variante Omikron das zuvor kaputtgesparte Gesundheitssystem auch weiterhin an ihre Belastungsgrenze.

Der Staat reagiert als Antwort auf die Krise lediglich mit autoritären Lösungsansätzen. Während in den Büros, am Fließband oder in den Schulen fleißig weiter malocht und gepaukt wird, kommt es zu zahlreichen Restriktionen im privaten Bereich. Höhepunkt dessen waren nächtliche Ausgangssperren in zahlreichen Kommunen im Mai letzten Jahres. Während man tagsüber noch im überfüllten ÖPNV den Mitfahrenden auf die Pelle rücken sollte und sich mit Covid-19 infizieren durfte, war es untersagt, nächtlich für einen Spaziergang das Haus zu verlassen. Andererseits stehen wir nun vor der Tatsache, dass im April fast ausnahmslos alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ersatzlos gestrichen werden – und dass, obwohl wir die höchsten Inzidenzzahlen seit Beginn der Pandemie verzeichnen. Ab Mai soll man sogar krank zur Arbeit erscheinen dürfen, alles im Interesse der Wirtschaft. Der Staat setzt nun auf die Eigenverantwortung der Bürger*innen und lässt dabei Schutzmaßnahmen für marginalisierte Personen außen vor. Während die einen laut „Freiheit“ schreien, werden damit auch wieder massenhaft Tote in Kauf genommen und Risikopatient*innen aus der Gesellschaft ausgeschlossen.

Für uns steht fest: Der Ausweg aus der Pandemie gelingt nur solidarisch!

Corona kann jede*n treffen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter oder sozialem Status. Besonders betroffen sind dabei jedoch eben jene, die schon vorher in prekären Verhältnissen lebten, ebenso wie Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Die auf den Kapitalismus zurückzuführende Spaltung der Gesellschaft, die Teilung in Arm und Reich ist offensichtlich und wird während der Pandemie noch extremer.

Eine solidarische Gesellschaft ist erforderlich. Solidarität ist es, was eine demokratische Gesellschaft zusammenhält. Corona-Leugner*innen hingegen handeln irrational, egoistisch und sozialdarwinistisch. Sie sind für wissenschaftlich gesicherte Fakten nicht mehr zugänglich und gefährden mit ihrem Verhalten sich und alle anderen.

Gemeinsam Utopien erkämpfen!

Wir träumen nicht nur von einer besseren Welt, wir werden sie erkämpfen! Daher gehen wir am Vorabend des internationalen Kampftages der Arbeiter*innenklasse gemeinsam in Bochum auf die Straße, um ein Zeichen gegen die herrschenden Verhältnisse zu setzen. Wir Arbeiter*innen – egal, ob lohnabhängig beschäftigt oder nicht-lohnabhängig arbeitend, Studierende, Schüler*innen, wir Angehörige des Proletariats kämpfen gemeinsam für unsere Befreiung, denn diese Aufgabe ist es, die uns vereint!

Klassensolidarität statt staatlicher Autorität! Hinaus zur revolutionären Vorabenddemo – hinaus zur Befreiung der Arbeiter*innenklasse!

30.04.2022 | 19:00 Uhr |Dr.-Ruer-Platz

 

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Antifaschistische Linke Bochum
non a parole – Antifaschistisches Kollektiv Bochum
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