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Organisierte rechte Kriminalität: Rocker, Nazis und Hooligans

Die folgende Recherche wurde auf Indymedia veröffentlicht und erreichte uns in einer Rundmail mit beigefügten Bildern. Wir kommen der Bitte der Autor*innen um Veröffentlichung gerne nach und spiegeln diese Recherche an dieser Stelle:

Am 19.01.2022 fanden bundesweit Razzien wegen Drogen- und Waffenhandel statt, unter anderem in Essen. Dabei wurde ein Gebäude auf dem Gelände an der Alleestraße durchsucht. Dieses Gelände wird unter anderem seit Jahren von der rechtsextremen Bürgerwehr „Steeler Jungs“ genutzt.

Steeler Jungs auf dem Gelände an der Alleestraße

Die Ermittler fanden dort mehrere Dutzend Kilogramm Drogen, etwa 50.000 Euro Bargeld, eine Drogenplantage, ein funktionsfähiges Sturmgewehr, ein Präzisionsgewehr sowie mehrere Handfeuerwaffen. Auch eine Waffenwerkstatt und Munition wurden von den Einsatzkräften aufgefunden. Zuletzt wurde die Adresse an der Alleestraße als Drehort für das Musikvideo zum Song von Xavier Naidoo und Hannes Ostendorf (Sänger der Naziband “Kategorie C”) gewählt. In dem Video finden sich viele Gesichter der Bandidos Essen und der rechten Schlägergruppe „Steeler Jungs“ wieder. Es deutet also alles daraufhin, dass es sich bei dem durchsuchten Gebäude, um die Räumlichkeit handelt, die von den neonazistischen und in die organisierte Kriminalität verstrickten „Steeler Jungs“ handelt. Ob die Polizei bei den Durchsuchungen auch die Tatwaffe finden konnte, mit der auf das Steeler Kulturzentrum „Grend“ geschossen wurde, ist bis dato nicht bekannt. Insgesamt halten Polizei und Lokalmedien sich zu diesem aufsehenerregenden Vorgang auffällig bedeckt.

Foto vom Einsatzgeschehen am 19.01.2022 (Quelle: WDR)

Beziehungen zwischen Neonazis, Rockern und Hooligans sind keine Seltenheit, wurden jedoch in den letzten Jahren bundesweit intensiviert und ausgebaut. Im Ruhrgebiet ist aus punktuellen Überschneidungen in den letzten Jahren durch HoGeSa und Bürgerwehren ein festes, weitverzweigtes und abrufbereites Netzwerk entstanden. Männlichkeitswahn, Gewaltfetisch und die Selbstinszenierung sind dabei nur drei Gründe, weshalb Personenkreise aus der organisierten Kriminalität, Neonazis und rechte Hooligans zueinander finden. Schließlich lockt auch das Geld: Drogengeschäfte, die Organisation von Kampfsportevents und Rechtsrockkonzerten, Zuhälterei sowie Türsteher- und Security-Tätigkeiten bieten für diese Menschen ein Auskommen.
Der folgende Artikel gibt einen ersten Einblick in Strukturen und Verbindungen im zentralen Ruhrgebiet und darüber hinaus.

„Bifi“ und seine Steeler Jungs

Die obengenannten „Steeler Jungs“ bestehen zum Großteil aus dem Umfeld der explizit rechten Hooligangruppierung “Alte Garde“ von Rot-Weiß Essen. Dreh- und Angelpunkt ist Christian “Bifi“ Willing, Leiter des Essener/Bottroper Bandidos-Chapters sowie der RWE-Hooligangruppe. Er steht als Person beispielhaft für die Überschneidung zwischen Rockern, Nazis und Hooligans. Die vom Ehepaar Willing betriebene „Sportsbar 300” fungiert als Treffpunkt und Vernetzungsort dieser gewaltbereiten Millieus. Ein weiterer Vernetzungsort ist der „Guerreros Fightclub“ dieser wurde ebenfalls von Christian Willing gegründet. Die bei den Durchsuchungen festgestellten Gegenstände in den Räumlichkeiten von Willing und seinen Leuten bestätigen, dass es sich dabei nicht um Motorradliebhaber handelt, sondern um illegal bewaffnete Schläger, die ihr Geld im Bereich der organisierten Kriminalität verdienen, also auch mit Zuhälterei, Menschenhandel und Zwangsprostitution. Die sich seit 2017 als Bürgerwehr gerierenden „Steeler Jungs“ entstammen genau diesem Umfeld um Willing, dem „300“ und alten RWE-Hooligans, die mittlerweile im Rockermilieu untergekommen sind. „Bifi“ beschäftigt seine Kameraden aus Bürgerwehr und Rockerclub nebenbei bei seiner Firma „Willing Umzüge & Haushaltsauflösungen“.

Essen & Dortmund: rechte Ideologie verbindet Hooligans

Willings rechte Hooligans agieren jedoch nicht nur als „Steeler Jungs“ politisch, sondern fielen auch rund um den Verein Rot-Weiß Essen mehrfach auf. So sollen sie z.B 2013 die Mitarbeiter*innen und Gäste des Fanprojektes vor der Vorführung des Films „Undercover unter Nazis“ bedroht haben. Dies ist nur ein bekanntgewordener Fall und dürfte kein Einzelfall sein. Es geht ihnen im und um das Stadion an der Hafenstraße um ihre rechte Vormachtsstellung. Antirassistisches Engagement im Vereinsumfeld wird umgehend eingeschüchtert. Dabei konnten sie sich bislang auf das passive Verhalten des Vereins verlassen. Beispielhaft ist dabei der enge Kontakt zum Dortmunder Neonazi Andre Fuhr. Fuhr ist seit vielen Jahren Teil der organisierten Dortmunder Nazistrukturen und gehört zur Partei „Die Rechte“.

Alte Garde Essen mit Andre Fuhr

Im Oktober 2020 nahm er beim neonazistischen Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ teil, welches von seinem Dortmunder Nazifreund Alexander Deptolla organisiert wird. Zuletzt nahm er am 09.10.2021 am Trauermarsch für Siegfried Borchardt in Dortmund mit seiner Freundin Marnie Wachmann teil. Andre Fuhr tranierte auch schon gemeinsam mit Willing im Guerreros Fightclub. Seine Beine hat er sich in einem Bandido-Tattoostudio in Dortmund tattoowieren lassen, Inhaber ist „Benjamin G“ vom Chapter „Metropol“.
Die rechten Essener Althools versuchen zunehmend und bisweilen leider erfolgreich Einfluss auf ihren Hooligannachwuchs zu nehmen, der sich hauptsächlich aus der Ultra- und Hooligangruppe „Vandalz“ speist.

Ein Vorgang der auch in anderen rechten Fußballszenen zu beobachten ist und dem sich Nachwuchsgruppen nur entziehen können, wenn sie einen Bruch mit „den Alten“ wagen. Die zuvor seit Jahren ruhende Freundschaft zwischen den aktiven Fanszenen von Essen und Dortmund wird seit einiger Zeit durch die Rechtsausleger beider Seiten wieder intensiviert. Kontakte werden vor allem von Seiten der rechten Essener Althools um Willing zu rechten Dortmunder Hooligans von 0231 Riot und Northside gepflegt, zu denen auch Andre Fuhr gehört. Diese Freundschaft wird mittlerweile auch von den Essener Junghools getragen.

Vandalz Essen bei Guerreros Fightclub

Präsenz zeigen die Dortmunder bei Essener Heim- und Auswärtspielen mittels ihrer „Dortmund Hooligans“ Zaunfahne. Gemeinsam durchbrachen sie am 14.09.2021 beim Spiel von Rot-Weiß Essen in Münster ein Tor, stürmten den Heimbereich und prügelten Menschen krankenhausreif, darunter einen Rentner. Einen Monat vorher am 25.08.2021 besuchten Essener Hooligans der Alten Garde gemeinsam mit den Hools von 0231 Riots das Auswärtsspiel gegen den Wuppertaler SV. Darunter befand sich auch Andre Fuhr und Yannik Wiesner. Beide kämpften auf dem Kampfsportevent „Pure Violence“, was in den Räumlichkeiten der 0231 Riots ausgetragen wurde. Auch Yannik Wiesner, aus dem Umfeld der 0231 Hools, präsentiert seine menschenverachtende Ideologie unverfroren auf Instagram. Seit 2020 spielt er in seiner Freizeit beim FC Gevelsberg-Vogelsang in der Position des Torwartes.

Der Übergang zwischen der organisierten Neonaziszene und rechten Hooligans in Dortmund scheint ohnehin seit Längerem fließend zu sein. So sind auch die bekannten Neonazis Franz Pauße und Sven (Kahlin) Schröder im Besitz des internen „Dortmund Hooligans“-Shirts und traten damit öffentlich in Erscheinung.

Ein weiterer rechtsextremer Hooligan auf der Fight Card des obengenannten Events „Pure Violence“ ist Marc Rohrbacher, dieser kommt aus dem Neckar-Odenwald-Kreis und ist ein führender Kopf des „Nord Württemberg Sturm“. Er verkehrt in der extrem rechten Fanszene des 1. FC Schweinfurt 05 und präsentierte bei seinem Kampf in Dortmund einen Schal von eben diesem Verein. Im Nachgang des Kampfes machte Marc Rohrbacher noch einen Abstecher in die Räumlichkeiten der rechtsextremen Dortmunder Naziszene in Dorstfeld.

Ein weiteres Beispiel der rechten Hooliganfreundschaft ist der bereits vor einigen Jahren geoutete (Nazi-)Kampfsportler Tom Neubert. Im Mai 2019 repräsentierte er die Hooligans Dortmund bei einem Kampf beim „F1ght K1ngs“- Kampfsportevent in Kiew, welches vom umtriebigen Neonazi und Gründer von „White Rex“ Denis „Nikitin“ organisiert wird. Wenig später postete er Fotos von sich, auf denen er mit den Essener Vandalz in der Kurve zu sehen ist. Einen Schal der Hooligans von Borussia Dortmund zeigte Neubert auch nach einem illegalen Kampf der Veranstalter des „King of the Streets“ (KOTS) im September 2019 in Schweden in die Kamera. Ein Spruchband „Vollgas Tom – Hau ihn um“ zeigten die Vandalz kurz vor diesem Kampf in ihrer Heimkurve. Tom Neubert erlangte ähnlich wie Fuhr besondere Nazibekanntheit, als er beim rechten Boxsportevent „Kampf der Nibelungen“ in Ostritz teilnahm. Tom Neubert hat nie einen Ausstieg aus der Neonaziszene vollzogen. Vielmehr erfährt er gerade jetzt als Prügelnder oder Verprügelter seine Anerkennung aus dem rechten Lager.

Organisierte Kriminalität meets Neonazis

Auch die „Bandidos Essen“ gehen gegenlich mit der Alten Garde ins Stadion, dort treten sie gemeinschaftlich mit Bomberjacken oder Kutten auf. Zu den Bandidos in Essen zählen noch weitere sogenannte Supporter Motorrad Clubs. Unteranderem “Crew 45” oder „Escuderos MC“. Die Bandidos gehören aufgrund von Waffen-/Drogenkriminalität, Zwangsprostitution und Menschenhandel zu den polizeilich relevanten Rockergruppierungen. Auch diese pflegen Rockertypisch gute Kontakte zu den anderen Bandidos und Supporter Gruppen.

Bandidos und Alte Garde Essen im Stadion an der Hafenstraße

Das oben genannte Kampfsportevent „Pure Violence“ wurde organisiert von den Rockern der Freeway Riders. Um die Beschaffung des Merchandise kümmerte sich der mittlerweile führende Kopf der Outlaw MC Bochum und Ex Mitglied der Freeways „Malte Bracke“. Mitglieder des „Outlaws MC“ sorgten vor kurzem wegen einer Schießerei und ihrem Anführer Bracke für Aufsehen. Die Medien berichteten dabei auch über Brackes rechte Gesinnung. Auch in Brackes direktem Umfeld in Person seiner Freundin (Manuela) gibt es Kontakte zu einem rechten Dortmunder Northside-Hooligan. Samuel Denski, der ebenfalls in diesem Kreisen verkehrt, ist verwandt mit Manuela. Denski ist Bindeglied zwischen den organisierten Dortmunder Neonazis aus Dorstfeld, der Dortmunder Hooliganszene um „Northside“ und der organisierten Kriminalität. Fotos dokumentieren, dass Denski ein „Northside“-Tattoo auf dem Unterarm hat, mit dem Dortmunder Neonazi Jim Koal verkehrt und mit Kleidung des Neonazi-Kampfsportevents „Kampf der Nibelungen“ posiert. Die Northside existiert bereits seit mehreren Jahren. Während dieser Zeit wird deutlich, dass auch die führenden Hooligans der Northside eng verbunden mit den Neonazis aus Dorstfeld sind. Ein weitere Gatekeeper der Lebenswelten Hooligans und extremer Rechten in Dortmund ist Timo Kersting. Kersting ist Kampfsportler und hat in seiner Karriere schon mehrere Kämpfe bestritten. Er wird durch die Neonazi-Marke ‚White Rex‘ unterstützt.
Auch die „Ghost Gang“, die eine Freundschaft zu den Freewayriders pflegt, ist gespickt mit gewaltbereiten Rechtsextremisten. Eine organisatorische Unterstützung der Pure Violence Veranstaltung von der Ghost Gang wird vermutet. Rocker der Gruppierung besuchten unter anderem den Trauermarsch und die Beerdigung von Siegfried Borchardt. Bekanntester Neonazi des Rockerclubs ist der Lagerist Sascha Vasic (geb. 30.07.1973), der unter anderem als Türsteher der bekannten Altstadtkneipe „da spiegel“ in Düsseldorf arbeitet. Dort kontrolliert Vasic, der unter anderem als Frontkämpfer des Düsseldorfer Querdenken Ablegers auftritt, Impfausweise am Eingang. Als Lagerist arbeitet er bei der Firma „Kowa Europe GmbH“ in Düsseldorf. 
Ein weiteres Beispiel für die Mischszene zeigte sich bei der Beerdigung von Siegfried Borchardt in Dortmund. Dort wurde die Durchführung tatkräftig unterstützt durch Mirko Appelt, Chef des Hells Angels Chapters Rostock. Der ehemalige Blood & Honour-Aktivist gehörte in der Vergangenheit zu den Anführern des sogenannten „Selbstzschutz Sachsen-Anhalt“.

Beim Thema Mischszene darf man die bis jetzt immer noch ungeklärten Verbindungen zwischen dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und Rockern nicht vergessen. Es gibt schon seit vielen Jahren enge Verbindungen zwischen Personen, die sowohl in der extremen Rechten als auch im Bereich der Rocker-Kriminalität aktiv sind.

Allgemein lässt sich festhalten, dass die Mischszene eine hochexplosive Mischung darstellt, bedenkt man, dass finanzielle Ressourcen, räumliche Strukturen und der Zugang zu Waffen und Sprengstoff in diesen Kreisen vorhanden sind.

Rechte Gewalt in Dortmund: Keine neue Qualität, sondern eine kontinuierliche Erscheinungsform

In Dortmund häufen sich erneut rechtsmotivierte Übergriffe auf Linke und Menschen, die nicht in das Weltbild der Rechtsradikalen passen.
Den traurigen Höhepunkt fand die Gewalt in einem Messerangriff auf einen Antifaschisten am 14. August 2016.

we hate Dortmund

Was geschah in den letzten Wochen?
Bereits am 31. Juli griffen aggressive Faschos der Partei Die Rechte auf der Rückreise aus Köln Antifaschisten am Zugbahnhof an. Ein Tag nach der gewalttätigen Auseinandersetzung kam es in Dorstfeld zu Flaschenwürfen auf zwei Menschen, die von den Nazis augenscheinlich dem linken Spektrum zugeordnet wurden. Michael Brück und Christoph Drewer, zwei führende Köpfe der rassistischen Partei in Dortmund, sollen laut den Betroffenen an dem Angriff beteiligt gewesen sein.

Einem Genossen, der bereits bei diesem Vorfall angegriffen wurde, lauerten am 14. August mehrere vermummte Personen vor seiner Haustür auf, traten ihn nieder und stachen mit einem Messer zu. Dem Angegriffenen gelang es trotz einer Stichverletzung im Bauchbereich zu flüchten. Nach der Erstversorgung der Wunden im Krankenhaus wurde Anzeige bei der Polizei in Dortmund erstattet.
Dass dies alles keine Einzelfälle sind, erwies sich kaum einen Monat später am 11. September. An der Haltestelle Wittener Straße in Dorstfeld kam es erneut zu einer Auseinandersetzung, bei der ein 17-jähriger und eine ihm zu Hilfe eilende Person von einer Personengruppe bedroht und bespuckt wurde. Auch hier trifft die Täterbeschreibung sehr gut auf Christoph Drewer zu, welcher bereits seit Jahren durch sehr aggressives Verhalten auffällt und eine Haftstrafe zu erwarten hat. In den Morgenstunden desselben Tags ereignete sich ein ähnlicher Vorfall auf dem Wilhelmsplatz in Dortmund Dorstfeld, bei dem zwei Jugendliche von einer mehrköpfigen Gruppe angegangen wurden. Nach der Frage, ob sie etwas gegen Nazis hätten, wurde Pfefferspray gesprüht. Die Dortmunder Nazis stellten es auf ihrem Blog so dar, als ob Gutmenschen aus Dortmund ihnen Gewalttaten anhängen wollten. Andererseits verkündeten sie im selben Artikel, dass Dorstfeld bekanntlich kein Zuckerschlecken für “Linke” sei.

Die genannten Vorfälle sind nur eine kleine Auswahl aus den Übergriffen auf Antifast*innen in den letzten Jahren. Obwohl sich die Öffentlichkeit und die Polizei schwer damit tun, jene Überfälle als politisch motivierte Straftaten zu betrachten, sind die jüngsten Vorfälle aus antifaschistischer Perspektive genau das. In der Öffentlichkeit wird, wenn überhaupt, von einer neuen Qualität von rechter Gewalt gesprochen. Betrachtet man allerdings die Aktivität der Rechtsradikalen in den letzten Jahren, wird deutlich, dass kaum eine neue Qualität der Gewalt zu verzeichnen ist, sondern Dortmunds Rechte auf ein Geschichte zurückblicken kann, die Gewalt schon immer als Mittel und Zweck betrachtet hat. Die heutige Situation ist das Ergebnis einer kontinuierlich arbeitenden und auftretenden Naziszene.

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