Nachbetrachtung zur Polizeigewalt am 19. Juni

Die Antifaschistische Aktion Bochum hat einen Text zu den massiven Polizeiübergriffen am 19. gegen Bochumer Antifaschist*innen und Bürger*innen veröffentlicht:

Am Sonntag, den 19.06.2016 sollte in Bochum eine antirassistische Demonstration zusammen mit Geflüchteten stattfinden. Diese musste leider aufgrund eines unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes abgesagt werden, da für die Sicherheit der Teilnehmer*innen nicht mehr gesorgt war.

Mensch fragt sich, was an diesem Sonntag eigentlich in Bochum los war. Tags zuvor hatten noch bis zu 8.000 Bochumer*innen friedlich gegen Rassismus protestiert und durch Menschenketten ihre Solidarität mit Geflüchteten und von Rassismus Betroffenen gezeigt. Von polizeilichen Einsatzkräften war hier vergleichsweise wenig zu sehen; teilweise so wenig, dass Abschnitte der Menschenkette nicht ordentlich abgeschirmt wurden, sodass weiterhin Fahrzeuge über die Strecke fuhren. Trotzdem war der Tag mit anschließendem Demozug zum Rathausplatz und dem dortigen interkulturellem Friedensfest ein Erfolg. Zwar ist uns bewusst, dass Menschenketten bestenfalls symbolischen Charakter besitzen, trotzdem halten wir es für wichtig, zusammen mit Geflüchteten ein Zeichen der Solidarität zu setzen und freuen uns über die vielen Menschen, die an diesem Tag auf der Straße waren. Dennoch ist es bedauerlich, dass am Sonntag nur ein Bruchteil der Teilnehmer*innen der Menschenkette an der geplanten AntiRa-Demonstration teilnehmen wollten. Antirassismus ist ein alltäglicher Kampf, der nicht allein mit Händchenhalten ausgefochten werden kann.

Umso erfreulicher war es, am Sonntag trotzdem einige dieser Menschen wieder zu sehen, nämlich beim Protest gegen den Pegida-Ableger DaSKuT (“Deutschland asylfreie Schulen, Kindergärten und Turnhallen”), bei dem unter anderem Sigrid Schüßler, eine ehemalige NPD-Funktionärin, als Rednerin angekündigt war. Schon am frühen Nachmittag zeichnete sich ab, wie der Tag verlaufen sollte. Am Hauptbahnhof standen dutzende Wannen, als würde erneut mit einem Aufgebot wie am 1. Mai diesen Jahres gerechnet. Personen, die augenscheinlich dem linken Spektrum zugeordnet wurden, wurden kontrolliert und nur durch den Hinterausgang aus dem Bahnhof gelassen. Auch der Husemannplatz war bereits früh weitläufig mit Hamburger Gittern abgeschirmt, sowohl die Viktoriastraße also auch die parallel liegende Kortumstraße waren ab 16:30 streckenweise komplett abgeriegelt.
Um ca. 17:15 Uhr war es dann soweit, ein rechtes Trüppchen setzte sich vom Hauptbahnhof über den Südring Richtung Kundgebungsort in Bewegung. Es hatten sich dabei lediglich 12-16 Menschen zusammengefunden, die über den Bürgersteig eskortiert wurden – der Südring wurde trotzdem durch Polizeifahrzeuge und eine Reiterstaffel blockiert.
Anschließend lief alles wie gewohnt: die Handvoll Nazis hielten ihre Rede, weitestgehend abgeschirmt vom Rest der Welt, während rund 200 Leute auf der Kortumstraße ordentlich Lärm gegen deren menschenverachtende Hetze machten. Dieses Szenario ist in Bochum eigentlich nach verschiedenen NPD-“Flagschiff” oder Pro-NRW Auftritten eingespielt. Die einzige Ausnahme war, dass die handvoll Rassist*innen einen besonders erbärmlichen Eindruck machten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass rassistische und rechte Mobilisierungen eine Gefahr für uns alle darstellen und im Keim erstickt werden müssen. Und auch an diesem Tag schossen die Rechten Fotos von den anwesenden Gegendemonstrant*innen. Diese schützten sich teilweise mit Sonnenbrillen oder Kapuzen davor, in den Karteien der Rechten zu landen. Trotzdem blieb die Situation die ganze Zeit über entspannt.

Erst gegen Ende der Nazi-Kundgebung ließ die den ganzen Tag schon aggressiv auftretende Polizei die Situation eskalieren. Nachdem bereits über längere Zeit die Gegendemonstration auch von der Polizei abgefilmt und zum Teil Porträtfotos von Einzelpersonen gemacht wurden, gingen die Beamt*innen ohne Vorwarnung in die Menschenmenge und zogen gezielt einzelne Personen heraus, angeblich wegen Vermummung. Dabei wurde auch ein älterer Demonstrant mitgerissen und von den Einsatzkräften blutig geschlagen und getreten. Ärztliche Hilfe wurde dem Verletzten über einen längeren Zeitraum verweigert, schließlich wurde er in Handschellen (!) ins Krankenhaus gefahren. Die Szenerie schien eine gute Ablenkung zu sein, denn in dieser Aufregung konnten die selbsternannten “besorgten Bürger” und “Asylkritiker” ganz einfach und unbemerkt und vor allem ohne Gegenproteste wieder zum Hauptbahnhof zurückgeführt werden. Eigentlich hätte an dem Punkt auch schon Schluss sein können. Hätte die Polizei an diesem Abend auf Deeskalation setzen wollen, hätte sie die Menschen zum 50m entfernten Dr.-Ruer-Platz gehen lassen können, wo im Anschluss eine antirassistische Demonstration, organisiert von Geflüchteten, Antirassist*innen und Antifaschist*innen, angemeldet war. Stattdessen baute die Polizei die Drohkulisse noch weiter aus, indem sie immer wieder Einsatzkräfte zum Husemannplatz zog, sodass es zeitweise den Anschein machte, die übrigen Gegendemonstrant*innen sollten wieder einmal eingekesselt werden. Auch eine Reiterstaffel wurde herangeführt.

Als sich die Situation etwas beruhigt hatte und die meisten Demonstrant*innen sich auf dem Dr.-Ruer-Platz eingefunden hatten, wurden erneut Menschen scheinbar gezielt und ohne Grund von Einsatzkräften angegangen und mitgenommen.
Sobald sich die Situation beruhigte, gingen die Beamt*innen erneut auf Menschen los und ließen sich ihre Personalien geben oder nahmen die Leute gleich mit in die Gefangenensammelstelle (GeSa), wahlweise wurden Vermummung oder Beleidigung als Gründe genannt. Die Versammlungsleitung wurde von der Polizei darüber in Kenntnis gesetzt, dass diese Praxis immer weiter fortgeführt werden solle.
Unter diesen Bedingungen wurde es nicht für sinnvoll erachtet, die angemeldete Demonstration an diesem Abend durchzuführen. Der Schutz der an der Demonstration teilnehmenden Personen, darunter auch Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, war aufgrund des massiven und ungewohnt aggressiven Polizeieinsatzes nicht mehr gewährleistet. Schweren Herzens wurde die Veranstaltung abgesagt und stattdessen versammelten sich viele Menschen vor der GeSa am Polizeipräsidium hinter dem Bergbaumuseum, um ihre von der Polizei mitgenommenen Genoss*innen und Freund*innen abzuholen. Auf dem Weg dahin wurden noch Personen von der Polizei durch die Stadt gejagt und es kam zu Personalienfeststellungen von Menschen, die der Polizei im Weg gestanden haben sollen. Auch am Bergbaumuseum kam es noch einmal zu einer Festnahme. Eine Person wurde gewaltsam aus einem Sitzkreis herausgerissen. Gegen 21 Uhr waren alle Personen wieder aus dem Gewahrsam gelassen. Bemerkenswert war vor allem die Solidarität der Anwesenden, für die wir uns sehr bedanken.

Ein solcher unverhältnismäßiger und gezielt eskalativer Einsatz der Polizei Bochum ist in keinem Fall zu rechtfertigen. Schon im Vorfeld kündigten die Beamt*innen an, nach dem 1. Mai härter durchgreifen zu wollen. Was sie damit gemeint haben, wissen wir nun. Nazi-Demonstrationen werden ohne Skrupel und ohne Rücksicht auf Verhältnismäßigkeit durchgesetzt, notfalls durchgeprügelt. Und um hinterher von Ausschreitungen und gewaltbereiten Linken sprechen zu können, werden dann halt noch ein paar Anzeigen ausgesprochen und Menschen gewaltsam mit auf’s Präsidium gebracht – einfach so, weil mensch es kann. Vielleicht brauchten die Cops auch nur eine Legitimation für das aufgefahrene Großaufgebot, welches für das Dutzend Nazis und rund 200 friedlichen Gegendemonstrant*innen definitiv nicht benötigt wurde. Mindestens fünf willkürliche Festnahmen und mehrere Identitätsfeststellungen und Anzeigen waren das Ergebnis des Einsatzes der Prügelbullen aus Bochum, Dortmund und Wuppertal. Die eingesetzte Hundertschaft aus Wuppertal ist dafür bekannt, überflüssige Festnahmen oder Personalienfestellungen mit großer Aggressivität und Brutalität durchzuführen: (https://linksunten.indymedia.org/en/node/145883).
Der skandalöse Einsatz wurde in Pressekommentaren beschönigt; wie immer ist dort nun die Rede von aggressiven und gewaltbereiten Störern. Hinzu kommt die dreiste Lüge, die Veranstalter*innen der AntiRa-Demonstration hätten aufgrund des Gewaltpotentials der Teilnehmenden auf die Demo verzichtet. Von brutaler Polizeigewallt findet sich kein Wort.

Am Ende des Abends bleiben Wut und Enttäuschung über den Einsatz der Polizei und ein ziemlich bitterer Nachgeschmack darüber, dass mal wieder Nazis und rechtes Gesindel die ganze Innenstadt für sich beanspruchen konnten und eine Demonstration für die Rechte von Geflüchteten abgesagt werden musste.

Wir glauben nicht daran, dass die Polizei als “Freund und Helfer” an unserer Seite steht. Die Polizei ist eine zutiefst autoritäre Institution und soll die Verhältnisse hier in diesem System beschützen, aber keinesfalls die Menschen. Gerade die massive Zunahme von Racial Profiling in diesem Jahr zeigt, dass die Polizei ernstgemeinten Antirassismus als Bedrohung auffassen muss.
Dennoch hat uns das Ausmaß der Willkür und Gewalt an diesem Tag überrascht. Bei einer so harmlosen und friedlichen Veranstaltung haben wir schlicht nicht damit gerechnet, dass die Polizei mit einem solchen Aufgebot anrückt und dann auch noch so durchdreht.
Aber so funktioniert Repression nunmal. Nach dem überzogenen Kessel und einigen gewalttätigen Übergriffen seitens der Polizei am 1.Mai wurde hier nun zum zweiten Mal innerhalb von kurzer Zeit alles aufgeboten, um antifaschistischen Protest zu kriminalisieren und zu bekämpfen. Der Polizeieinsatz gegen den am 4.6. in Dortmund schlägt in dieselbe Kerbe. Aus welchem Grund auch immer scheint die Bochumer Polizei in der antifaschistischen Bewegung ein klares Feindbild gefunden zu haben, welches mit Gewalt bekämpft werden soll – egal wie viele Personen und wie viele Grundrechte dabei zu Schaden kommen.

Wir als Bochumer Antifaschist*innen lassen und davon nicht unterkriegen! Unsere Forderungen bleiben wichtig und richtig und so werden wir die Demonstration unter dem Motto “Refugees Welcome – Wohnungen und Bildung statt Isolation” nachholen. Auch lassen wir uns von der Polizei nicht einschüchtern; wir werden uns weiter gegen Rassismus und Faschismus stellen, Nazis blockieren und für gleiche Rechte für alle Menschen kämpfen. Auch gegen den Willen und die Repression der Polizei!

Noch ein paar praktische Hinweise:

Wir rufen euch dazu auf, Gedächnisprotokolle anzufertigen, die für die kommenden Prozesse hilfreich sein könnten.
Tipps dazu findet ihr hier.

Wenn ihr Post von der Polizei bekommen solltet, geht zur Sprechstunde der Roten Hilfe.

Wenn ihr Probleme mit den emotionalen Folgen der Gewalt und Repression am Sonntag haben solltet, wendet euch an Out of Action.