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FDP Bochum verkennt in Zeiten von Rechsterrorismus antifaschistisches Engagement

Leon Beck – Wahlkampfplakat Kommunalwahl 2020

Am 27. Januar stellte die FDP Bochum in Person von Léon Beck in der 2. Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses der Stadt Bochum eine Anfrage mit dem Titel: „Auf keinem Auge blind: Extremistische Entwicklungen in Bochum beobachten!“. Darin stellt Beck zunächst auf Grundlage der irrigen „Hufeisentheorie“ Fragen zu extrem rechten und linken Strukturen in Bochum, um damit suggestiv eine gleichbedeutende Gefahr für Menschen und Demokratie heraufzubeschwören.

Becks Anfragen zur extremen Rechten in Bochum beziehen sich auf „Querdenken“, die Identitäre Bewegung und „andere rechte Gruppierungen“. Würde sich die FDP in Bochum ernsthaft Sorgen um die extreme Rechte in Bochum machen und sich mit den unterschiedlichen Phänomenen beschäftigen, hätte sie mitbekommen, dass es zuvorderst Bochumer Antifaschist*innen sind, die rechte und verschwörungsideologische Veranstaltungen dokumentieren, zu diesen Strukturen recherchieren, sowie Einschätzungen und Informationen dazu veröffentlichen. Diese und zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind es auch, die Gegenveranstaltungen organisieren und Menschen gegen jegliche Form von Menschenverachtung zusammenbringen. Diese konsequente ehrenamtliche Arbeit hat über die Jahre dazu geführt, dass in Bochum kein ernsthaftes „Nazi-Problem“ entstehen konnte. Rassist*innen, Neonazis und Verbreiter*innen von Verschwörungsmythen haben in Bochum kaum Möglichkeit Aktionen ungestört durchzuführen und ihre Strukturen im Verborgenen aufzubauen. Erschöpfende Antworten auf seine Fragen hätte Beck auf dem Blog Antifaschistischer Gruppen in Bochum bekommen: https://antifabochum.noblogs.org/ .
Zur Identitären Bewegung gibt es sogar eine bundesweit anerkannte Recherche- und Monitoringplattform in Bochum: http://identitaere-in-bochum.net/.
Dort, wo es aktive Antifa-Strukturen gibt, hat es die extreme Rechte schwer sich zu entfalten. Erst letzte Woche konnten Antifaschist*innen einen mehrfach veurteilten, gewaltbereiten Neonazi identitifizieren, der für die seit Monaten in Gerthe und anderen Bochumer Stadtteilen angebrachten Hakenkreuze und andere menschenverachtende Schmierereien verantwortlich ist. Staatliche Behörden waren dazu offenbar nicht in der Lage.

Und da antifaschistische Recherche im Parteienspektrum nicht bei der AfD aufhört, konnten brisante extrem rechte Tendenzen auch bei der Bochumer FDP aufgedeckt werden. Da ist die Mitgliedschaft des FDP-Bundestagsabgeordneten und Kreisvorsitzenden Olaf in der Beek in der rechten Burschenschaft „Ubia Brunsviga zu Bochum“, über die er Kontakt zu extrem rechten AfD-Politikern und einem Identitären hat(te). Der Stiepeler FDP-Lokalpolitiker Manfred Baldschus, der in der Bezirksvertretung Bochum-Süd sitzt, fiel dort bereits häufiger durch rassistische Äußerungen auf und auch sein Facebook-Profil verriet, dass er die rassistischen Begriffe „N*küsse und Z*schnitzel“ vermisst. Zu seinen Facebookfreund*innen zählen vier regionale AfD-Politiker*innen. Dass der Weg von der FDP zur AfD in Bochum nicht weit ist, bewies der Ex-AfD-Lokalpolitiker Sebastian Marquardt, der sich Baldschus in der Bezirksvertretung-Süd im November 2018 anschloss. Im August 2020 bewarb sich Leon Beck um den JuLi-Vorsitz in NRW. Ein eigens produziertes Imagevideo über ihn zeigte, wie er einen Antifa-Aufkleber abreißt. Nach anschließender Kritik von allen Seiten verlor er schließlich das Duell um den JuLi-Vorsitz.

Mit seiner neuerlichen Anfrage läutet Leon Beck eine neue Runde in seinem Kleinkrieg gegen Antifaschist*innen in Bochum ein. Seine Fragen nach „gewaltbereiten Linksextremisten“ oder gar „Präventionsprojekten gegen Linksextremismus“ zeugen nicht nur von völliger Inkompetenz, sondern auch davon, dass er den Kampf gegen Rechts vor Ort delegitimiert. Gezielt versucht er die wertvolle, ehrenamtliche und oftmals gefährliche Arbeit von Antifaschist*innen zu kriminalisieren. Die Bochumer FDP stellt sich damit in die Reihe von Anfragen, die von der AfD, wie zuletzt in Sachsen-Anhalt geschehen, immer wieder eingebracht werden, um Nazigegner*innen und Strukturen auszuleuchten.

Wir und viele andere mutige Menschen führen den Kampf gegen Rechts in Bochum fort. Die Motivation gegen Antifaschist*innen zu agieren mag bei Rechten und Marktradikalen unterschiedlich sein, die Bekämpfung der Linken ist jedoch das vereinende Moment. Wer Deutschlands Geschichte kennt, weiß das.

Antifaschistische Linke Bochum,
Februar 2021

Mordversuch am Wohnungslosen in Bochum-Langendreer

In der Nacht zum 9. November ereignete sich in Bochum-Langendreer ein grausamer Überfall auf einen 55-jährigen Wohnungslosen. Der Mann, der vor ein paar Jahren aus Polen nach Deutschland kam, wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Der Täter bewarf ihn mit Verbundsteinen. Nachdem der Überfallene schwer verletzt am Boden lag, stapelte der Täter die schweren Steine, Paletten und Säcke mit Split auf ihn drauf, um ihn wortwörtlich lebendig zu begraben. Die Lokalzeitung WAZ berichtet von Rippenbrüchen, starken Verletzungen und Unterkühlung: mehrere Stunden verbrachte der 55-Jährige auf diese Weise draußen, bevor er entdeckt wurde.

Unvorstellbar muss das Leid des Mannes in der Novembernacht gewesen sein. Die Polizei hat bisher keine Erkenntnisse über den Täter und seine Motive. Was treibt einen Menschen, einem Mann ohne Obdach solche Gewalt anzutun? Jüngst ist es immer wieder zu körperlicher Gewalt und Mord an Wohnungslosen in Deutschland gekommen. Anfang November erlag eine obdachlose Frau in Delmenhorst ihren Misshandlungen; im Frühjahr wurde ein Mann in Hannover mit einem Pflasterstein gegen den Kopf geschlagen und lebensgefährlich verletzt, und die Liste ließe sich fortsetzen. Laut einer Statistik der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. wurden zwischen 1989 und 2017 783 Wohnungslose verletzt und 236 ermordet. Diese Zahlen spiegeln nur die Gewalttaten wider, die von nicht-wohnungslosen Täter*innen begangen wurden. Die Gewalt unter den Wohnungslosen selbst muss an anderer Stelle betrachtet werden.

Wohnungslose gehören zu Menschen in unserer Gesellschaft, die besonders verletzlich sind. Ohne eigenen Wohnraum fehlt es ihnen oft an Schutzraum und Rückzugsmöglichkeiten, nicht nur vor der Kälte im Winter, sondern auch vor Gewalt. Doch die fehlende finanzielle Absicherung ist nicht das einzige Übel, dem sie ausgesetzt sind. Solch menschenverachtende Gewalttaten, wie die in Bochum, sind Ergebnis einer gesellschaftlichen Stimmung, die Wohnungs- und Arbeitslosigkeit unter dem Mantel der „Asozialität“ dargestellt. Sozialwissenschaftler nennen diese Ideologie „marktförmiger Extremismus“, ein „Extremismus der Mitte“. Dieser Ausdruck beschreibt den Rückgang der Solidarität mit wirtschaftlich Schwachen und Menschen, die für unsere kapitalistische Art der Produktion als nicht effizient betrachtet werden. Menschen werden in Nützlichkeitskategorien eingeteilt und danach bewertet, wie flexibel sie sich an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anpassen. Mit einem allgemeinen Rechtsruck in der Gesellschaft werden nicht nur rassistische Einstellungen salonfähig, sondern auch das Bedrohungsszenario wiederbelebt, wonach der eigene Wohlstand durch Menschen, die laut gesellschaftlichem Maßstab „nichts“ zum Reichtum der Gesellschaft beitragen, bedroht wird. Der Hass auf sie kann in Kombination mit anderen Kriterien Gewalttaten wie die in Langendreer begünstigen: ein Menschenleben wird schnell an dem bemessen, was es an Profit erwirtschaftet.

Die schreckliche Gewalttat erinnert an einen Mord, der vor genau 20 Jahren in Bochum begangen worden ist. Am Abend des 14. Oktober 1997 wird Josef Gera, welcher sich im Obdachlosen- und Trinkermilieu bewegte, von zwei Bekannten so stark verletzt, dass er ein paar Tage später stirbt. Der homosexuelle Gera soll seinen Mördern sexuelle Avancen gemacht haben, woraufhin sie sich berechtigt sahen, ihn zu erschlagen. Uwe K. und Patrick K. berichteten im Nachhinein stolz ihrer Familie von dem Mord; der Skinhead Patrick K. gab während des Verhörs zu, „Sieg Heil“ gerufen zu haben.

Das Leben jedes einzelnen Menschen ist wertvoll. Solidarität gebührt uns allen – unabhängig vom finanziellen Status!

Antifaschistische Linke Bochum,
Dezember 2017