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3 Jahre und 10 Monate für Synagogen-Schützen

Christian Heß vor Synagoge am 26.04.2021 I

Am 06.12.2023 wurde der Neonazi Christian Heß zu 3 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt. Er stand seit dem 16.11. vor Gericht und musste sich nicht nur wegen des Schusses auf die Synagoge im Jahr 2021, sondern auch wegen mehreren versuchten Brandstiftungen seit 2017 verantworten. Vertreten wurde er durch den Rechtsanwalt und AfD-Politiker Knuth Meyer-Soltau.

Die Hauptverhandlung fand vom 04.-06.12. vor dem Bochumer Landgericht statt. Vorgeworfen wurden dem Rechten der Schuss mit einer Stahlkugel auf die Bochumer Synagoge am 26.04.2021, die Würfe zweier Molotow-Cocktails auf eine Kita in der Zechenstraße im Mai 2017 und auf den Balkon eines Mehrfamilienhauses in der Kulmer Straße am 25.02.2018, die Explosion einer DHL-Paketstaion mittels selbstgebautem Sprengsatz ca. zwei Jahre später und eine versuchte Brandstiftung an einem Fahrzeug der VBW an der Küpperstraße am 20. Dezember 2022. Bei dieser letzten Tat seiner Tatreihe wurde er von Zeugen beobachtet und von der Polizei gestellt. Die daraufhin entnommene DNA ergab Treffer der bereits länger zurückliegenden Taten und überführte Heß als Täter. Sein Geständnis ist vor diesem Hintergrund als hinlänglich zu sehen. Bei seinen Einlassungen ließ der Täter viele Leerstellen. So konnte er sich an die Tatausführungen nicht genau erinnern, ebenso wenig ließ er seine Tatmotivationen im Dunklen. Womöglich geschah dies mit dem Wissen um eine strafverschärfende Wirkung bei einem Bekenntnis zu einer politischen Motivation.

Der politische Background
Die Hausdurchsuchung bei Christian Heß erfolgte am 25.05.2023, während er bei seinem Arbeitgeber in Bochum-Gerthe festgenommen wurde. Bei der Durchsuchung wurden zahlreiche Messer, Dolche, Macheten, Schlagringe, Schlagstöcke, Elektroschocker, Co2-Pistolen und weitere Waffen sichergestellt. Einige von diesen Waffen besaß Heß illegal, darunter auch die Waffe mit der er mittels einer Stahlkugel die Synagoge beschoss. Dort durschlug das Projektil sogar die Sicherheitsscheibe. Ein Teil dieser Waffen waren Selbstbaue, die Heß offenbar mithilfe von Anleitungen konstruiert hatte. Zudem wurde eine Anleitung zum Bombenbau und ein Kanister mit Benzin in einem Rucksack gefunden. Auch ein Stielhandgranaten-Imitat aus dem zweiten Weltkrieg wurde beschlagnahmt. Weiterhin wurden über 250 NS-Devotionalien gefunden. Darunter befanden sich unter anderem Hakenkreuzfahnen, NS-Anstecker, Hitler-Büsten und -Fahnen, Reichskriegsfahnen, SS-Aufnäher und eine Sammlung indizierter Rechtsrock-CDs. Auf seinem Handy fanden sich antisemitische und rassistische Videos und Fotos. Ein Video zeigte u.A. die Erschießung von Jüdinnen und Juden. Die Polizisten entdeckten schließlich Drogen in nicht geringer Menge und eine Cannabis-Pflanze in Heß´ Wohnung.

Die Lebensgefährtin, die in einer eigenen Wohnung lebt, gab zwar an, von seiner Sammelleidenschaft zu wissen, problematisierte diese jedoch nicht. Sie gab ferner an, dass ihr Freund nicht aktiv in einer Partei oder Kameradschaft sei. Zudem würde er keine Demonstrationen besuchen. Er habe eine Abneigung gegen Jüdinnen und Juden und würde antisemitische Narrative weitergeben, wie beispielsweise „dass die Juden gierig und ein verräterisches Volk seien“. Auch würde Hitler ein hohes Ansehen bei ihm genießen. Von den Taten erfuhr die Lebensgefährtin erst durch die Presse. Heß gab gegenüber einer Gutachterin an, dass er selbst kein Nazi sei, sondern bezeichnete sich eher als „Punk-Rocker“. Zudem brachte er an, dass seine politische Gesinnung hier nichts zur Sache tun würde und er sich lediglich für Dinge aus der NS-Zeit interessiere. Der Versuch, die über 250 NS-Devotionalien einer historisch interessierten Sammelleidenschaft zuzuschreiben, wurde schließlich auch vom Oberstaatsanwalt und vom Richter durchschaut. Allein die aktuellen Rechtsrock-CDs und das auch öffentliche Tragen von NS-Symbolen sprechen eine endeutige Sprache. Tatsächlich ist Heß seit vielen Jahren durch das offene Tragen von szenetypischer Kleidung, u.a. das Tragen einer Mütze mit SS-Totenkopf, im Stadtbild aufgefallen. Bereits Mitte der 2000er studierte er in aller Öffentlichkeit die Booklets von Rechtsrock CD`s. Auch mit anderen rechten Jugendlichen wurde er in diesem Zeitraum gesehen, wie sie sich mit erhobenem Arm in der Öffentlichkeit begrüßten. So liegt die Vermutung nahe, dass er sich um 2005 herum im Umfeld kameradschaftlich organisierter Gruppen wie den Freien Nationalisten Bochum/Hattingen und den Freien Nationalisten Witten bewegte und von dort aus als sogenannter “lone wolf” stetig weiter radikalisierte. Bereits Jahre vor diesem Verfahren wurde er im Besitz von Schlagringen erwischt und dafür verurteilt.

Der polizeiliche Staatsschutz gab am zweiten Verhandlungstag an, dass Heß nach der Festnahme im Dezember 2022 ein Prüffall gewesen sei, da er bei der Tat eine Bauchtasche mit SS-Runen trug. Ob dieser in Strukturen sei, sei nicht bekannt, man gehe von einem Einzeltäter aus. Tatsächlich ist nicht bekannt, inwieweit Heß Demonstrationen besuchte. Er war zu Zeiten seiner Ausbildung bei der Demonstration gegen die Schließung des Nokia Werks im Jahr 2008 mit anderen Auszubildenden anwesend. Belege, dass er bei Demonstrationen der extremen Rechten anwesend war, liegen bisher nicht vor. Fraglich bleibt, ob er trotz der anstehenden Strafe und den mahnenden Worten des Richters von seiner menschenverachtenden rechten Einstellung ablässt, denn immerhin forderte er über seinen Rechtswanwalt, den stellvertretenden AfD-Kreisverbandssprecher Knuth Meyer-Soltau, alle seine NS-Devotionalien zurück sowie alle Waffen, die er legal besitzen darf.

Die Taten
Wie bereits beschrieben wurden neben dem Schuss auf die Synagoge verschiedene Brandstiftungen verhandelt. So warf er im Mai 2017 einen Molotow-Cocktail auf eine Kindertagesstätte in Bochum-Hamme. Dieser zündete jedoch nicht, sondern zerstörte nur eine Scheibe der Doppelverglasung und brannte davor aus. Die Erzieherin entdeckte den noch brennenden Brandsatz bei Arbeitsantritt vor der Tür. Im Februar 2018 warf er dann eine als Brandsatz ausgebaute Müllermilchflasche auf einen Balkon eines zwölfstöckigen Mehrfamilienhauses an der Kulmer Straße. Im Februar 2020 sprengte er in Bochum-Langendreer zudem eine DHL-Packstation. Heß ließ sich auf alle Vorwürfe ein und gab vor dem Hintergrund seiner DNA-Spuren an den Brand- und Sprengsätzen ein Geständnis ab. Als Motiv gab er an, dass er „Bock auf Knallen“ gehabt und sich keine Gedanken gemacht habe. Auch das im Falle des Mehrfamilienhauses etliche Menschenleben gefährdet waren, schien ihm wenig Gedanken bereitet zu haben. Weiterhin gab er an, bei jeder Tat unter dem Einfluss von BTM gestanden zu haben. Er gab zwar kurze Entschuldigungen ab, die von Oberstaatswanwaltschaft und Richter als authentisch wahrgenommen wurden. Auch dass der Schuss auf die Synagoge eher ein Zufallsprodukt gewesen sei, nahm das Gericht an. Begründet wurde dies damit, dass er im Vorfeld bereits auf das angrenzende Planetarium geschossen habe. Immerhin erkannten und benannten Gericht und Staatsanwaltschaft seine offesichtliche “nationalsozialistische, antisemitischen und rassistische” Einstellung, brachten diese jedoch kaum in Zusammenhang mit seinen Taten. Gerade in Zeiten eines wieder erstarkenden Antisemitismus, hätte die Betonung dieses Novums nach 1945 deutlicher ausfallen müssen. Zudem legen die Kameraaufnahmen nahe, dass er bei dieser Tat einmal mehr seine Bauchtasche mit dem Aufnäher der SS-Division “Götz von Berlichingen” getragen hat. Diese trug er auch bei seiner Verhaftung am 20. Dezember 2022, nachdem er beim Versuch ein Auto in Brand zu stecken, erwischt worden war.

Das Urteil
In der Gesamtschau wurde Heß vergleichsweise mild verurteilt. Dies hat er einerseits seiner Freundin, als auch seinem Arbeitgeber zu verdanken. Er wurde nach der Festnahme und der Unterbringung in Untersuchungshaft nicht gekündigt und auch seine Wohnung wurde offenbar weiterbezahlt. Deshalb sah das Gericht auch von einer weiteren Unterbringung in U-Haft ab. Während der Oberstaatsanwalt sowohl Fluchtgefahr als auch Widerholungsgefahr bei Heß sah, verwarf der Richter in seiner Urteilsbegründung beide Bedenken. So kann Heß nach Haftantritt hoffen, zeitnah in einen offenen Vollzug zu kommen, um seiner Tätigkeit weiterhin nachgehen zu können. Die Gutachterin konnte keine gefestigte Persönlichkeitsstörung feststellen, sondern nur vereinzelte Züge einer solchen. Sie betonte, Heß war zu jederzeit voll schuldfähig. Er wusste was er tat und plante seine Taten von langer Hand. Heß zeige sich außerdem heiter, wenn er über seine NS-Sammlung oder Waffen sprechen würde. Während er ansonsten eine versteinerte, wütende Mine aufsetzte, was der Richter am Ende der Verhandlung auch würdigte. Dabei machte der Richter dem Rechten ebenfalls deutlich, dass er mit seinem Lebensstil in dem von ihm gewünschten System sehr wohl als “Volksschädling” verurteilt worden wäre. Christian Heß kam somit im Anschluss der Verhandlung aus der U-Haft frei und wird bis zu seinem Haftantritt unter Einhaltung von Auflagen auf freiem Fuß sein. Auch der Gegenstand seines täglichen BTM-Konsums wird sich auf sein Urteil ausgewirkt haben. Weiterhin ist fraglich, warum die Justiz die nicht gezeigte Reue in Frage stellte, als er seine Aservate zurück forderte. Für die versuchte Brandstiftung an der Küpperstraße wurde er freigesprochen. 3 Jahre und 10 Monate sind für die Zeitspanne und die Qualität der Taten ein mildes Urteil, vorallem wenn ihm bereits jetzt der offene Vollzug in Aussicht gestellt wird. Heß nahm bei seinen wohlgeplanten Angriffen Menschenleben in Kauf und nur dank seiner “dilettantischen” (zit. Sachverständiger) Ausführung blieb es bei Sachschäden.

Weitere Taten
In der Causa Heß bleiben weitere Fragen offen. Einerseits wie es zur Politisierung des rechten Täters kam. Heß lebte in seinen Jugendjahren an der Küpperstraße, unweit der heutigen Synagoge. 2004 fand eine Demonstration gegen den Synagogenneubau statt, die NPD verteilte Flyer in der Nachbarschaft und das Auto des Rabbiners wurde zerstört und mit Hakenkreuzen versehen. Hier wäre interessant in wie weit diese Zeit seine ideologische Einstellung beeinflusste.

Brand Rolladen Soziales Zentrum am 28.09.2017

Hinzu kommt, dass die Taten in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes oder dem Wohnort seiner Jugend ausgeübt worden. Gerade in Bochum-Grumme und Bochum-Hamme kam es zu zahlreichen Brandstiftungen in den vergangenen Jahren. Einer dieser Brandstiftungen ereignete sich am 28.09.2017 am Sozialen Zentrum Bochum. Der Eingangbereich wurde mit Benzin übergossen und versucht anzustecken. Die damals hin zugerufene Polizei spielte die Situation herunter, die Kriminalpolizei weigerte sich zu kommen. Hier ein Auszug aus dem Schreiben des SZ: „Denn anstatt eine Brandstiftung an einem Wohnhaus aufzunehmen, ging das Ganze bei der Polizei als “Sachbeschädigung durch Feuer auf Straßen, Wegen oder Plätzen” ein. Aber auch das blieb unbeachtet: Nur 8 Tage später erhielt die Anzeigestellerin einen Brief der Staatsanwaltschaft mit der Information, dass das Verfahren eingestellt sei.“ Sechs Jahre später sitzt Christian Heß, der nur unweit vom Sozialen Zentrum entfernt wohnt vor Gericht. Die Taten, die verhandelt werden, liegen zufällig im selben Zeitraum wie der Brandanschlag auf das Soziale Zentrum. Ein Schelm wer böses dabei denkt. Auch hätte geklärt werden müssen ob zwischen dem Wohnort des Angeklagten und dem Wohnort seiner Lebensgefährtin Brandstiftungen begangen wurden. Dass die vor Gericht verhandelten Taten die einzigen waren, die er ausgeübt hat, ist sicherlich zu bezweifeln.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass über 7 Jahre ein neonazistisch motivierter Täter in Bochum eine Anschlagsserie verübte und dabei Menschenleben in Kauf nahm. Zwar trafen nicht all seine Anschläge politische Ziele, jedoch begründet sich seine Waffen- und Gewaltaffinität auf seiner neonazistischen, von Selbstüberhöhung bestimmten Gesinnung. Genau diese wiederkehrenden Verhaltens- und Persönlichkeitsmuster sind rechten Tätern gemein und gefährdeten und kosteten bereits in naher Vergangenheit in Bochum und den Nachbarstädten immer wieder Menschenleben.

Prozessbeobachtung
07.12.23

Weitere Artikel zum Thema:

https://www.deutschlandfunk.de/haftstrafe-in-prozess-um-schuesse-auf-synagoge-in-bochum-100.html
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/bochum-schuesse-auf-synagoge-angeklagter-zu-knapp-vier-jahren-haft-verurteilt-a-379d41e1-b6f3-4349-b5d3-77dbd73bc748
https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/urteil-schuesse-synagoge-bochum-100.html
https://www.zeit.de/news/2023-12/06/schuesse-auf-synagoge-haftstrafe-fuer-37-jaehrigen-bochumer
https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/prozess-schuesse-synagoge-essen-100.html
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/bochum-mutmasslich-rechtsextremer-soll-auf-synagoge-geschossen-haben-prozess-beginnt-a-42604694-972a-434d-aa20-f83ff01427a6
https://www.waz.de/staedte/bochum/schuss-auf-bochumer-synagoge-ein-prozess-voller-probleme-id240597686.html
https://www.waz.de/staedte/bochum/schuss-auf-bochumer-synagoge-jetzt-beginnt-der-prozess-id240569546.html
https://www.waz.de/staedte/bochum/schuss-auf-bochumer-synagoge-taeter-zu-haftstrafe-verurteilt-id240760712.html

Filmvorführung: Solingen 1993

Filmvorführung: Solingen 1993

1993 wurde ein rassistischer Brandanschlag auf die Familie Genc in Solingen verübt. 5 junge Frauen und Mädchen verloren am frühen Morgen des 29. Mai ihr Leben. Ihre Namen waren Hatice, Gülüstan, Hülya, Gürsün und Saime. Die jüngtse von ihnen, Saime, war gerade 4 Jahre alt.
Zum 25. Jahrestag sah sich der Drehbuchautor, Senol Güngor, veranlasst diese schreckliche Tat erneut aufzugreifen. Mit Gegenwartsbezug beschreibt er in seinem sozialkritischen Film die Geschichte anhand der bis heute ungebrochenen Bedrohung durch Rassismus. Güngor porträtiert sieben junge Menschen, die ihre Wurzeln in Russland, der Türkei, dem Libanon und Deutschland haben. Im Rahmen eines Schulprojekts befragen sie ihre Eltern zu diesem Ereignis. Ihr sehr unterschiedliches familiäres Umfeld und ihre eigene Lebenswirklichkeit werden authentisch eingefangen.

Der Film wird am 28.11.2019 im Provisorium Bochum gezeigt. Da der Drehbuchautor Senor Güngör der Filmvorführung ebenfalls beiwohnen wird, besteht die Möglichkeit im Anschluss eine Diskussion über den Film, den Brandanschlag und den Umgang mit rassistischen Angriffen zu führen.

Die Filmvorführung wird gemeinsam veranstaltet von: Antifaschistische Linke Bochum, Radio el Zapote und der Kulturfabrik Bochum

Ort:
Provisorium
Dorstener Straße 17
44787 Bochum