Im Mai 2000 ermordeten vier Neonazis den Sozialhilfeempfänger Dieter Eich in Berlin Buch. Dieter Eich musste sterben, weil er in den Augen der Täter „asozialer Dreck“ war, der am Wohl des „deutschen Volkskörper“ schmarotzte.
Die Neonazis René R., Andreas I., Thomas S. und Matthias K. betranken sich am 24.Mai 2000 zunächst in einem nahegelegenen Imbiss und später in der Wohnung des René R. Bereits auf dem Weg in die Wohnung riefen sie rechte Parolen und bepöbelten Migrant*innen rassistisch. In der Wohnung hörten sie Rechtsrock und stachelten sich weiter an. Erst gegen Migrant*innen, später dann gegen „Asoziale“. Sie entschieden sich dazu einen „Assi aufzuklatschen“, den im Viertel als „Alkoholiker“ geltenden Dieter Eich.
Sie begaben sich in seine Wohnung und traktierten das schlafende Opfer mit Schlägen und Tritten. Dabei schlugen sie gezielt nach dem Kopf von Eich. In die Wohnung des René R. zurück gekehrt, bekamen sie Angst, dass Dieter Eich sie später identifizieren könnte. So begaben sie sich erneut in Dieter Eichs Wohnung und stachen ihn mit einer 11cm langen Klinge gezielt ins Herz. Später kamen sie erneut an den Tatort zurück um Spuren zu beseitigen. Dieter Eich wurde am nächsten Tag von einem Bekannten aufgefunden. Er starb an seiner Verletzung.
Wir haben am heutigen Samstag, den 06.06.2020, ein Graffiti in Bochum angefertig. Es soll an den faschistischen Mord an Dieter Eich erinnern.
Weiterhin möchten wir darauf aufmerksam machen, dass Gewalt aus sozialchauvinistischen Gründen nicht nur auf Neonazis zurückzuführen ist. So wird Gewalt u.a. gegen wohnungslose Menschen oftmals von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ausgeübt. Legitimation finden diese Taten oft darin, dass Menschen aufgrund der kapitalistischen Verwertungslogik in entbehrbares und nicht entberbahres Leben unterschieden werden.An dieser Stelle möchten wir auf ein Flugblatt von uns hinweisen, welches wir aufgrund eines Mordversuchs an einen wohnungslosen Menschen in Bochum Langendreer im November 2017 anfertigten: Mordversuch an Wohnungslosen in Bochum Langendreer
Nichts und niemand ist vergessen!
Antifaschistische Linke Bochum,
Juni 2020
Zusatz:
Bereits 2010 verfassten Bochumer Antifaschist*innen der Antifaschistischen Jugend Bochum einen Beitrag in der Broschüre „Niemand ist vergessen – Broschüre anlässlich des 10. Todestag von Dieter Eich“. Wir möchten an dieser Stelle den Artikel aus der Broschüre dokumentieren:
Umgang der Politik und der bürgerlichen PResse mit rechtsmotivierten Morden
Als vor zehn Jahren vier Nazis am Rande Berlins einen „Assi klatschten“ vertuschten dies Polizei und Staatsanwaltschaft.Hätten Antifas und engagierte JournalistInnen sich nicht um die Veröffentlichung der tatsächlichen Hintergründe des Mordesbemüht, wäre die Tat vielleicht nie als das ans Tageslicht gekommen, was sie war: nämlich ein Mord verübt von Neonazis. Diesist ein Ablauf, den wir aus dem Ruhrpott nur zu gut kennen.
Die Morde an Thomas „Schmuddel“ Schulz und Josef Anton Gera
Am 14. Oktober 1997 wurde der 95-jährige Homosexuelle Josef Anton Gera von zwei obdachlosen Neonazis in Bochum umgebracht. Nachdem er in einer Laube mit fünf Leuten getrunken hatte und, nach Aussage der Täter, ihnen „sexuelle Avancen“ gemacht habe, griffen die Neonazis zu einer Eisenstange und schlugen so lange auf ihn ein, bis Gera mehrere Rippenbrüche und innere Blutungen erlitt. Die angemessene Behandlung im Krankenhaus wurde ihm versagt, bis Gera am 17. Oktober an seinen Verletzungen starb. Vor ihrer Familie (und später auch vor Gericht) gaben die Nazis an, „es einem Schwulen mal richtig gezeigt zu haben“. Die Aussage begleiteten die Männer mit Hitlergrüßen.Trotz der Tatsachen, dass die Täter der rechten Skinhead-Szene angehörten, deren Laube mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert war und einer der Täter gegenüber der Polizei angab am Tattag „Sieg HeiL!“ gerufen zu haben, wurde der rechte Hintergrund der Tat vertuscht. Dass Gera homosexuell war, sei „eine Schutzbehauptung“ der Nazis gewesen. Die lokale Presse übernahm ganz selbstverständlich die Ansicht der Staatsanwaltschaft.Antifaschistische Recherche bestätigte aber Geras Homosexualität und damit den wahren homophoben Hintergrund des Mordes, was die staatlichen Institutionen nicht dazu bewegt hat, das Urteil zu ändern. Demnach sei es ein „Mord aus niederen Beweggründen“ gewesen, bei dem „Alkohol und eine Menge Frustration eine bewegende Rolle“1 gespielt haben. Bis dato weigert sich die Stadt das Tatmotiv anzuerkennen noch eine Gedenktafel für den Toten aufzustellen.
Der Fall Josef Geras war kein Einzelfall. Am 28. März 2005 wurde der Punker Thomas „Schmuddel“ Schulz aus Dortmund vom jungen Naziskin Sven Kahlin umgebracht. Thomas sprach den Nazi in der U-Bahn auf seine rechte Gesinnung an, woraufhin dieser ein Messer zog und es mitten in Thomas Herz stach. Thomas verstarb im Alter von 32 Jahren. Die Staatsanwaltschaft schilderte im Urteil den politischen Werdegang Kahlins und auch den Tatvorgang sehr ausführlich. Der junge Nazi, der Mitglied der „Skinheadfront Dortmund-Dorstfeld“ gewesen war und bereits mehrere Vorstrafen erhalten hatte, da er unter anderem an einem Angriff auf einen Punker aus einer Gruppe heraus beteiligt gewesen war, wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Doch obwohl im Urteil zuvor Kahlins politische Gesinnung und seine vorhergegangenen Straftaten (welche definitiv in das Muster seines Weltbildes passen) festgehalten wurden, wurde der damals 17-jährige nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt. Kahlin habe aus keinem „triftigen Anlass“ zugestochen, der Mord an Schmuddel sei aufgrund des Streits passiert. Und genauso wie in Bochum für Josef Gera gibt es in Dortmund keine offizielle Gedenktafel für Thomas Schulz. Die Politprominenz in Dortmund weigert sich, eine Tafel in der U-Bahn-Station für Thomas aufzustellen, aus Angst einen „Wallfahrtsort“ für Rechte und Linke zu schaffen.
Öffentliche Bewertung rechter Morde
Anhand der thematisierten Fälle kann mensch ein klares Muster erkennen. PolitikerInnen sorgen mit ihrem Verhalten dafür, dass Morde rechtsgesinnter Täter unter den Tisch fallen. Meist wird das rechtsradikale Motiv nicht anerkannt und oft genug dient der Alkohol als Vorwand die Tat zu entpolitisieren. Parallelen sind klar zu erkennen: In Bochum wie auch Dortmund wird Gedenkpolitik seitens der etablierten Politiker verweigert. Würde mensch eine Gedenktafel fürdie Opfer aufstellen, so müsste die Stadt um ihr „sauberes“, „tolerantes“ Image fürchten. Es würde bedeuten, zugeben zu müssen, dass auch im eigenen Nest Intoleranz und Rechtsradikalismus auf der Tagesordnung stehen. Dieses Verhalten ist nicht nur auf lokaler, sondern auch auf Bundesebene zu beobachten. Laut der Anfrage von Ulla Jelpke (DIE.LINKE) an den Bundestag, seien nach dem Mauerfall lediglich 46 Morde durch Neonazis verübt worden.2 Antifas, unabhängige Stiftungen und Beratungsstellen zählen allerdings 149 Tote, wobei die Dunkelziffer sicher weit aus höher liegt. Die Statistik beinhaltet ausschließlich Todesopfer – Menschen, die rechte Gewalt am eigenen Leib (ohne Todesfolge) erfahren mussten, sind nicht mit inbegriffen. Selbstverständlich muss die Bundesregierung ihren Ruf als tolerantes Deutschland bewahren, will sie als Standort für nichtdeutsche Unternehmen und deren Angestellte attraktiv bleiben. Eine Statistik, die 149 Opfer rechter Gewalt aufzuweisen hat, passt so nicht in den Kram. Mit diesem Verhalten der etablierten Politik wird die Tatsache, dass Menschenaufgrund ihres Äußeren, Ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Vorlieben oder einfach nur ihrer politischen Einstellung nicht nur terrorisiert, sondern auch getötet werden, beschönigt oder gar verdrängt. Das Verhalten der Politik und dessen Effekt wird durch die bürgerliche Presse unterstützt. Diese übernimmt meist die unkritische Ansicht der Gerichte, der Staatsanwaltschaft und der Polizei.
Im Fall Josef Geras wurde aus dem rechtspolitisch-motiviertem Mord ein Mord aufgrund von „viel Alkohol und Frustration“, im Falle Dieter Eichs wurde zwar der Mord in der Presse kritisch betrachtet, aber geschrieben wurde hier teilweise im Sprachstil der Täter. So titelte beispielsweide der Tagesspiegel: „Alkoholiker umgebracht“3. Über die Presse gelangt die ignorante Haltung der Politik auch an den Leser der Tageszeitung, der dadurch desensibilisiert wird und sich keine Gedanken zu machen braucht. Die Ignoranz und Verdrängung in der bürgerlichen Mitte wird dadurch gestärkt und gefördert. Es entsteht ein Kreislauf des Verschleierns der Tatsachen und des Verschließens der Augen vor der (mittlerweile) rassistischen Normalität.
Opfer erster und zweiter Klasse
Ein weiteres Problem ist, dass Opfer rechter Gewalt oftmals ohnehin bereits zu gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen gehören. MigrantInnen, Obdachlose, Homosexuelle, Punks und Linke werden auch gerne von der Polizei angegangen und verprügelt. Auch die Verachtung der bürgerlichen Mitte richtet sich gegen Sie. Ein übergeordnetes Interesse erhalten Opfer rechter Gewalt bei etablierter Politik und bundesweiter Presse erst dann, wenn Vertreter des Staates angegriffen werden, so geschehen nach dem wahrscheinlich rechtsmotivierten Mordversuch am Passauer Polizeipräsidenten Alois Mannichl im Dezember 2008. Auf einmal war das Thema rechte Gewalt in der ganzen BRD in der Presse. Selbst die CSU forderte ein NPD-Verbot. Mannichl, der „manchmal hart an der Grenze des rechtsstaatlichMöglichen“4 gegen neofaschistische Bestrebungen in Bayern vorgeht. Betrachtet mensch Mannichls Beteiligung an einem der größten Repressionsschläge gegen die organisierte Antifa Mitte der 90er, so wird klar, das Mannichls Kampf gegen Rechts vor allem ein Kampf gegen „jeden Extremismus“ ist, der antifaschistische Politik jenseits des Staates die Notwendigkeit aberkennt. 1998 wurde unter der Beteiligung von Alois Mannichl, damals in Funktion des stellvertretenden Polizeichefs von Passau, versucht, die Antifaschistische Aktion Passau zu kriminalisieren und zu verbieten. Dies geschah im Rahmen einer bundesweit angelegten Razzia gegen antifaschistische Gruppen, die mittels des Anti-Terror-Paragraphen 129a durchgeführt wurde.5 Merkles Aussage, der Angriff auf den „Antifa-Polizisten“ aus Passau sei „ein Angriff auf uns alle“ , belegte nicht nur, dass die Eliten wesentlich mehr Empathie für die Vertreter_innen ihres Apparates haben als für die „gewöhnlichen Opfer“ rechter Gewalt, sondern auch, wie sehr der Staatsmacht daran gelegen ist eine Identifikation mit dem Staat und seinem Kampf gegen rechts zu stiften. Auch die Befürwortung eines NPD-Verbotes seitens der CSU kann als Versuch gewertet werden politische Nebenbuhler rechts von der CSU zu beseitigen. So konnte z.B. die Münchner „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ bei den Kommunalwahlen2008 ein Stadtratsmandat erringen, was vielleicht vorher an die CSU gegangen wäre. In all diesen Diskussionen staatlicherseits geht es letzten Endes so gut wie nie um die Betroffenen, sondern um Eigeninteressen von Wirtschaft und Politik.
Das den Kampf gegen Rechts eben nicht der Staat macht, so sehr er auch einen Definitions- und Alleinvertretungsanspruch darauf erheben mag, zeigt das Verhalten von Behörden, Polizei usw., wenn es um dieBeurteilung „unpopulärer“ rechter Morde und das Gedenken an sie geht. All diese Tatsachen machen linke Erinnerungs- und Gedenkpolitik umso wichtiger. Es ist von großer Bedeutung rechtsmotivierte Morde an die Öffentlichkeit zu bringen, die Menschen damit zu konfrontieren und zu hoffen, sie dadurch zum Denken anzuregen und einen kritischen Sinn zu entwickeln.
Quellenangaben:1 Zeitungsartikel unbekannt, Samstag, 25. Oktober 1997, „Erster Ermittlungserfolg im Mordfall Josef Gera“http://media.de.indymedia.org/media/2008/10//229890.pdf
2 siehe Ulla Jelpke, Bundestag-Druksache 16/12005
3 Tagesspiegel vom 07.02.2001, „Mordprozess gegen junge Männer neuaufgerollt“
4 Vgl. Der Spiegel vom 52/2008, „Dreistes Doppelspiel“http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-62781254.html
5 Vgl. Rote Hilfe Zeitung, Ausgabe: 3 / 1998, „Bundesweite Staatsschutzaktion gegen Passauer Antifas“http://www.rote-hilfe.com/layout/set/print/publikationen/Die-Rote-Hilfe-Zeitung/1998/3/bundesweite-staatsschutzaktion-gegen-passauer-antifas