Gegen jeden Antisemitismus – Kein Kuscheln mit Faschist*innen!

In den letzten Wochen hat sich der Konflikt zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten immer weiter zugespitzt. Allein in der vergangenen Woche wurden mehr als 2.500 Raketen von der Terrororganisation Hamas auf israelisches Staatsgebiet gefeuert und töteten neben israelischen auch palästinensische Zivilist*innen. Über den Konflikt wird auch in den Sozialen Medien heftig diskutiert. Weltweit fanden und finden derzeit diverse Demonstrationen und Kundgebungen statt – mal in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung, mal in Solidarität mit Israel und Jüdinnen und Juden weltweit.
Im Zuge der aufgeheizten Diskussionen ist eines besonders auffällig: Bekundungen in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung gehen immer wieder einher mit antisemitischen Parolen, Fake News bishin zu Vernichtungsfantasien. Auf pro-palästinensischen Demonstrationen kommt es immer wieder zu Holocaust-Vergleichen und Relativierungen, antisemitische Karikaturen werden hochgehalten und nicht nur Palästina-Fahnen geschwenkt, sondern auch iranische, libanesische, syrische und türkische Nationalfahnen sowie Zeichen der faschistischen Grauen Wölfe und der Hamas.

Am Samstag, den 15.5.2021, fand auch in Bochum eine Kundgebung vor dem Rathaus, ausgerichtet von der Hamas-nahen Palästinensischen Gemeinde Deutschland (PGD) statt. Dort waren u.a. Ausrufe wie „Israel gib auf – Wir geben niemals auf!“, „Mit unserer Seele und unserem Blut kämpfen wir für Al-Aqsa!“ oder „Kindermörder Israel“ zu hören. Darüber hinaus wurden auch hier antisemitische Plakate hochgehalten und nationalistische Symbole offen gezeigt.

Es fanden demnach auch auf der Bochumer Kundgebung Sympathiebekundungen zu diktatorischen und islamistischen Akteuren statt, antisemitische Parolen konnten problemlos geäußert werden und auch die israelsolidarische Kundgebung am Dr.-Ruer-Platz wurde immer wieder aggressiv von Teilnehmenden der Kundgebung der PGD angegangen. Auch wurden in den vergangenen Wochen immer wieder gezielt Synagogen sowie Jüdinnen und Juden zum Ziel antisemitischer Angriffe und Proteste. Demonstrationen und Proteste, auf denen Jüdinnen und Juden, kurdische Genoss*innen oder wir als israelsolidarische Antirassist*innen nicht sicher sind, sind für uns kein place to be. Antisemit*innen sind für uns keine Bündnispartner*innen im Kampf um die Befreiung!

Ohne die rassistische Politik der derzeitigen israelischen Regierung, die Ungerechtigkeiten gegenüber arabischen Israelis, die Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten oder das Erstarken rechter und nationalistischer Bewegungen klein reden zu wollen, sehen wir in der Hamas und Fatah die Hauptaggressoren des Konflikts und Feinde demokratischer Friedensbestrebungen. Solange die „Regierungen“ Gazas und des Westjordanlands den Staat Israel vernichtet sehen wollen, wird es keine Friedensverhandlungen geben.

Das Leid der Bevölkerung der palästinensischen Autonomiegebiete und die Motivation, ebenfalls von rassistischer Diskriminierung und postkolonialen Kontinuitäten Betroffener, an solcherlei Demonstrationen teilzunehmen, ist verständlich, auch wenn sich diese Proteste vorrangig gegen die Unterdrücker der Hamas und Fatah richten müssten. Wir können jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass offene Faschist*innen und Antisemit*innen an diesen Veranstaltungen teilnehmen oder diese sogar von ihnen organisiert werden und Antisemitismus, Judenhass und anti-jüdische Vernichtungsfantasien zur vermeintlichen Normalität im Kampf um die Befreiung erhoben werden.

Wir stellen uns gegen jede Form des Antisemitismus – sei es plumper Judenhass, sekundärer Antisemitismus in Form von Holocaust-Vergleichen, struktureller Antisemitismus in Form von Verschwörungsmythen (wie bspw. Parolen wie „Kindermörder Israel“ oder der Behauptung, „die Juden“ würden die Medien kontrollieren) oder israelbezogener Antisemitismus. Statt sich weiter von Hass und Hetze entzweien zu lassen, gilt es, sich mit aller Kraft für ein Ende der Gewalt und progressive Lösungen einzusetzen, denn letztendlich ist es die Bevölkerung auf beiden Seiten, die am stärksten unter dem Konflikt leidet.

Kundgebung gegen Antisemitismus am Dr.-Ruer-Platz [5]

Auf der zeitgleich am 15.5.2021 stattgefundenen Kundgebung gegen Antisemitismus haben auch wir einen Redebeitrag gehalten, der im Folgenden dokumentiert wird:

Wir stehen heute hier, um unsere Solidarität mit Jüdinnen und Juden weltweit auszudrücken. Der aktuell wieder einmal auflodernde Konflikt in Israel verstärkt auch hierzulande antisemitische Ressentiments und lässt die Hemmschwelle für Gewalttaten gegenüber Jüdinnen und Juden sinken. Nicht selten wird die Forderung nach Freiheit für die palästinensische Bevölkerung gleichgesetzt mit der Forderung nach der Vernichtung Israels. Statt eine starke antirassistische Bewegung oder den Kampf gegen die Terrororganisation Hamas, die die palästinensische Bevölkerung als Schutzschild benutzt, zu fordern, wird die Existenz des Staates Israel und der Schutz jüdischen Lebens in Frage gestellt. Jüdinnen und Juden werden weltweit für die israelische Politik verantwortlich gemacht und jüdisches Leben auch hierzulande verbal und physisch angegriffen.

Bereits vor zwei Wochen kam es auch in Bochum zu einem Angriff auf die jüdische Gemeinde, bei dem mit Stahlkugeln auf die Synagoge geschossen wurde. Bereits vor zwei Wochen brodelte der Konflikt im Nahen Osten und eskalierte im Laufe der vergangenen Tage. Während dem generationenübergreifenden Konflikt nicht mit einer einfachen Einordnung in Gut und Böse beizukommen ist, geschieht aktuell jedoch genau das: Plumpe Schuldvorwürfe, Rassismus und Antisemitismus dominieren die Debatte – dabei wünscht sich ein Großteil der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten bloß, in Frieden koexistieren zu können und leidet dennoch am härtesten unter den Auseinandersetzungen. Die Terrororganisation Hamas feuerte allein seit diesem Montag mehr als 2000 Raketen auf israelisches Staatsgebiet. Obwohl das israelische Abwehrsystem es ermöglichte, einen Großteil der Raketen abzufangen, starben bislang zahlreiche Menschen. Israel antwortete mit Luftangriffen, bei denen hochrangige Führer der Hamas und des militanten Islamischen Dschihads, aber auch mehrere Zivilist*innen getötet wurden. 

Wir stellen uns sowohl gegen die antisemitische Terrordiktatur von Hamas und Fatah, als auch gegen die rechtspopulistische Likud-Regierung und rechtsextreme israelische Mobs. Sowohl für Jüdinnen und Juden als auch für arabische Israelis und Palästinenser*innen bedeutet eine Aufrechterhaltung der derzeitigen Politik, dass die Sicherheit und das Leben in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten weiterhin gefährdet bleiben. Diesen Zustand gilt es zu beenden! 

Die Verbrechen der deutschen Nazibarbarei haben der Welt schmerzlich deutlich gemacht, dass der Staat Israel notwendig ist, um Jüdinnen und Juden weltweit einen Schutzraum zu bieten. In der Diaspora sind sie seit 2.000 Jahren Hass und Verfolgung ausgesetzt. Die derzeitige Situation in Israel gefährdet diesen so notwendigen Schutz. Für uns steht fest, dass es keinen Frieden mit den Feinden Israels geben kann. 

Es sind vor allem Palästinenser*innen, die unter der Terrorherrschaft der Hamas in Gaza und der Diktatur der Fatah im Westjordanland leiden. Auch zahlreiche palästinensische Todesopfer des derzeitigen Konflikts wurden durch fehlgeschlagene Raketenabschüsse aus Gaza verursacht. Frieden im Nahen Osten kann es nur geben, wenn sich die Palästinenser*innen auch selbst gegen ihre Unterdrücker auflehnen. Erst wenn die Hamas ins Meer und die Fatah in den Jordan getrieben wurde, gibt es die Chance auf Friedensverhandlungen. Wer jedoch in der derzeitigen Situation des Terrors nach Friedensverhandlungen schreit und Terrororganisationen an den Verhandlungstisch setzen will, sei an die Worte des ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden und Überlebenden der Shoa Paul Spiegels erinnert: „Hinter dem Ruf nach Frieden verstecken sich die Mörder!“

Obwohl Antisemitismus der deutschen Dominanzgesellschaft seit hunderten von Jahren immanent ist, lässt sich in den vergangenen Jahren eine drastische Steigerung des offen ausgedrückten und ausgelebten Antisemitismus erkennen. Und kaum etwas gab dem Antisemitismus in den letzten Jahren einen solchen Aufschwung wie die aktuelle Corona-Krise. Auch in Bochum nehmen bspw. die Schergen von Querdenken und Co. kein Blatt vor den Mund, wenn sie ihre antisemitischen Inhalte unter die Leute bringen können. Wir Antifaschist*innen haben bereits im vergangenen Jahr davor gewarnt, dass aus Verschwörungsideologien irgendwann Vernichtungsphantasien werden. Der Angriff auf die Bochumer Synagoge ist die nächste Eskalationsstufe in einer Gesellschaft, in der antisemitische Einstellungen immer weiter auf dem Vormarsch sind. Und heute, etwas mehr als zwei Wochen danach, findet eine Veranstaltung der „Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland“, die der Hamas nahesteht und offen die Vernichtung Israels und jüdischen Lebens propagiert, zentral in der Innenstadt statt. Dort demonstrieren neben Menschen, die ihre Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung ausdrücken wollen, auch glühende Antisemit*innen und offene Faschist*innen der Grauen Wölfe.

Doch es ist uns egal, ob Verschwörungsideolog*innen, rechte, linke oder islamistische Antisemit*innen, wie sie heute unterwegs sind. Wir stehen gegen jede Form des Antisemitismus ein. Unsere Solidarität gilt allen Betroffenen von antisemitischem Hass, egal ob in Israel, Gelsenkirchen, Bochum oder anderswo auf der Welt. Daher stehen wir heute hier in Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde Bochum. Ein Angriff auf das jüdische Leben ist ein Angriff auf die freie, pluralistische und gerechte Gesellschaft, die wir errichten wollen. In dieser Gesellschaft hat Antisemitismus keinen Platz.

Uns ist schmerzhaft bewusst, dass auf staatliche Akteur*innen kein Verlass ist, im Kampf gegen Antisemitismus. Das haben zahlreiche Statements der etablierten Politik und inhaltsleere Symbolpolitik, aber auch finanzielle Unterstützung für palästinensischen Terror vonseiten der BRD und der EU bereits zu Genüge bewiesen. 

Auch die Bochumer Polizei hat in den vergangenen Monaten bei zwei Autokorsos aus dem verschwörungsideologischen Spektrum katastrophale Arbeit geleistet. Begleitet von einem riesigen Blaulichtmeer konnten diese verschwörungsideologischen und antisemitischen Kundgebungen ungestört an der Bochumer Synagoge vorbei fahren und ihren Hass und ihre Hetze verbreiten. Wenn die Polizei so etwas geschehen lässt, ist es nicht verwunderlich, dass antisemitische Täter*innen sich in Sicherheit fühlen und ihren Worten Taten folgen lassen. Das Ergebnis einer solchen Politik haben wir am Mittwoch in Gelsenkirchen erlebt: Trotz eines großen Polizeiaufgebots konnten eliminatorische Antisemit*innen vor der dortigen Synagoge extrem antisemitische Parolen rufen, ohne dass die Polizei eingriff. Am Dienstag wurden auch in Dortmund ungestört antisemitische Rufe bei einer spontanen Demonstration laut, bei welcher Anhänger*innen der rechtsextremen Grauen Wölfe, sowie Hamas-Anhänger*innen teilnahmen. Nicht nur in Gelsenkirchen und Dortmund fühlen sich militante Antisemit*innen wohl, auch in anderen Ruhrgebietsstädten kam es bereits während des letzten Gaza-Krieges 2014 zu zahlreichen antisemitischen Ausschreitungen, oft unter den Augen der eingesetzten Polizist*innen.

Wir wollen diesen Status quo jedoch nicht hinnehmen und rufen ganz Bochum auf: schaut nicht weg, wenn ihr Zeug*innen von Antisemitismus werdet, egal wo, egal wann! Verteidigt die Werte, für die wir jeden Tag einstehen, stellt euch vor die Synagogen, wenn wieder Antisemit*innen durch die Straßen ziehen.

Egal ob aus dem islamistischen oder verschwörungsideologischen Spektrum, aus der konservativen und rechten Szene, aus der so genannten Mitte der Gesellschaft oder auch aus linken Spektren: Antisemit*innen sind unsere Feinde und wir werden nicht ruhen, bis jeglicher Antisemitismus auf dem Müllhaufen der Geschichte liegt!

Keinen Frieden mit den Feinden Israels – Gegen jeden Antisemitismus!
non a parole – Antifaschistisches Kollektiv Bochum
[1], [2], [4], [5] Twitter/Autonome Antifa 170
[3]                   WAZ/Dietmar Wäsche