Seit einigen Wochen sorgen „Querdenker“ auch in Bochum für Aufsehen, am 21. November soll es eine größere Demonstration der Corona-Leugner*innen und Maskenverweiger*innen geben, daher haben wir uns entschlossen, über diese Bewegung, ihre Ziele und Verbündeten zu berichten und eigene Forderungen bezüglich der derzeitigen Krise zu formulieren.
Wer sind eigentlich diese Querdenker?
Gegründet wurde die Initiative „Querdenken 711“ in Stuttgart, unter anderem von Michael Ballweg, einem Unternehmer. Im Frühjahr 2020 forderte Querdenken unter anderem die Überprüfung der vermeintlich freiheitseinschränkenden Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie, doch schnell entwickelte sich die Gruppierung zu einem Sammelbecken aus Verschwörungsideolog*innen, Reichsbürger*innen und anderen Personen der extremen Rechten.
Bereits im Mai informierte das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (aa
Telegram-Chat von Querdenken 234: Bochumer*innen auf dem Weg zur großen Querdenken-Demo in Berlin
bs), dass sich zunehmend Impfgegner*innen sowie offen agierende Neonazis an den regelmäßigen Kundgebungen auf den Cannstatter Wasen beteiligen. Die Stuttgarter Genoss*innen berichten außerdem regelmäßig über die Teilnahme von bekannten Neonazis, unter anderem von „Zentrum Automobil“, der Identitären Bewegung und der örtlichen AfD.¹
Diese nach rechts offene Haltung von Querdenken, allem voran von Michael Ballweg, der zwar öffentlich meist unglaubwürdige Distanzierungen von extremistischem Gedankengut von sich gibt, aber die Teilnahme der extremen Rechten auf seinen Veranstaltungen begrüßt, hat spätestens im Spätsommer bei zwei Demonstrationen in Berlin dafür gesorgt, dass rechtsextreme Inhalte in den Reihen der „Coronaleugner*innen“ nicht nur salonfähig geworden sind, sondern zum immanenten Bestandteil der Bewegung aufsteigen konnte.
Die diffuse Mischung aus Öko-Hippies, Impfgegner*innen, Reichsbürger*innen und gewaltsuchenden Neonazis vereint vor Allem der Hass gegen die Demokratie, welche – je nach vertretener Ideologie – von Echsenmenschen, einer „jüdischen Weltverschwörung“ oder den Siegermächten gelenkt werde.
Zu dieser Einschätzung kommt auch die Mobile Beratung gegen Rechts Berlin: „Mobilisiert wird in verschiedenen Spektren. Seit Beginn haben wir es bei den „Corona-Protesten“ mit einem sehr heterogenen Milieu zu tun, das verschwörungsideologische Einstellungen zur Corona-Pandemie mit der Ablehnung der Eindämmungsmaßnahmen verbindet und verschiedene politische Lager zusammenbringen kann. Dies reicht von eindeutig rechtsextremen bis hin zu sich selbst als demokratisch-gesellschaftskritisch verstehenden Personen, wobei die vermeintliche kritische Haltung sich zumeist in der Ablehnung etablierter Medien, demokratischer Parteien und Politiker_innen und der gefestigten Mehrheitsmeinung der Wissenschaft erschöpft. Die unterschiedlichen Spektren eint lediglich eine diffuse Haltung des Protestes gegen „die da oben“.“²
Ableger in Bochum
Seit einigen Wochen wird nun auch die Bochumer Öffentlichkeit von Corona-Leugner*innen belästigt, mit der Gruppe „Querdenken 234“ gründete sich ein Ableger der Stuttgarter Gruppierung. Bisher kam es zu einigen „Spaziergängen“ von stets weniger als 30 Personen durch das Bermuda3Eck und die Innenstadt. Die Genoss*innen der Antifaschistischen Linken Bochum hatte einen der Aufzüge begleitet und dokumentiert.³ Einer der Organisator*innen war der Bochumer Peter Florian, welcher bereits seit dem Beginn der Pandemiemaßnahmen eine wöchentliche Kundgebung auf dem Husemannplatz veranstaltet. Von Rechts distanzierte sich Florian zwar bereits im Mai, allerdings kam es im Zuge der Proteste oftmals zu antisemitischen Äußerungen⁴ und der Teilnahme örtlicher Neonazis⁵.
Die Gründung eines Querdenken-Ablegers ist der logische Schluss, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren und auf der Bekanntheitswelle der professionell geführten Mutterorganisation Querdenken 711 mit zu surfen.
Gewaltpotential und rechte Freunde
Der Bochumer Ableger fällt neben seinen Spaziergängen vor Allem in den sozialen Netzwerken und im eigenen Telegram-Kanal auf. Dort werden nicht nur zahlreiche Fake News verbreitet, sondern auch schon mal zum Mord am politischen Gegner aufgerufen. Angesichts der extremen Radikalisierung der Corona-Leugner*innen sind solche Aufrufe mit Sorge zu betrachten. Ende Oktober kam es zu mehreren Anschlägen durch die Szene, so wurde ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts mittels Brandsatz angegriffen und beschädigt⁶ und nach einem weiteren Sprengstoffanschlag in Berlin-Mitte wurde ein Bekenner*innenschreiben gefunden, in dem ein Ende aller Corona-Maßnahmen gefordert wird⁷. Außerdem kündigte ein 57-jähriger Anhänger von
Mordphantasien in der Telegram-Gruppe
Querdenken in einem Youtube-Livestream ein Blutbad an, wurde von den Cops kurzzeitig festgenommen, aber nach einem Verhöhr wieder frei gelassen⁸. Der nach Presseangaben szenebekannte Youtuber steht unter anderem in Kontakt mit dem Querdenken-Frontmann Samuel Eckert, dem Fernseh-Pflanzenfresser und selbsternanntem Reichskanzler Attila Hildmann und dem verschwörungsideologischen Rechtsanwalt und Gründers der Plattform „Anwälte für die Aufklärung“ Gordon Pankalla. Außerdem ist er laut Recherchen Mitglied in mehreren Telegram-Kanälen von Querdenken-Gruppen und in mehreren „Patrioten“-Gruppen organisiert.
Eine in zahlreichen Querdenken-Ablegern gewöhnliche Mischung, denn zahlreiche Lokalgruppen wurden von Pegida-Anhänger*innen gegründet
Peter, Anmelder der wöchentlichen Corona-Leugner*innen-Kundgebung auf dem Husemannplatz und nun auch von Querdenken 234
oder unterstützt. So verwundert es auch nicht, wenn Kader wie Nikolai Nerling⁹, dem Reichsbürger Heiko Schrang¹⁰ oder der Verschwörungsideologe und Geschichtsrevisionist Thorsten Schulte aus Hamm¹¹ gern gesehene Gäste auf Veranstaltungen der verschwörungsideologischen Szene sind und fest zum Repertoire von Ballweg und Co. gehören.
Der Bochumer Ableger von Querdenken hat bisher auf die öffentliche Teilnahme von Neonazis am Redner*innenprogramm verzichtet und auch die Hattinger Gründerin Dagmara Robak, welche im Impressum der Querdenken 234-Webseite die Adresse ihres Unternehmens Robak Immobilien angibt, scheint bisher nicht politisch aufgefallen zu sein. Allerdings kann sich dies mit der geplanten Demonstration am 21.11. ändern, denn zumindest online ist man schon bestens ins rechte Lager zwischen Werteunion und AfD vernetzt, so etwa mit Max Otte oder Markus Krall.
Wir rechnen für den 21. November zwar keineswegs mit einer Massenmobilisierung wie wir sie im August in Berlin erleben konnten, doch befürchten, dass die Zahl der Teilnehmer*innen die Anzahl der bisherigen Spaziergänge deutlich überschreitet.
Die bisherige Beobachtung der Aktivitäten von Querdenken 234 hat gezeigt, dass nicht nur Gewaltphantasien, sondern auch die akute Gefährdung von Menschen, etwa durch das Nichteinhalten der Maskenpflicht oder die konsequente Unterschreitung des gebotenen Mindestabstands immanenter Teil der Bochumer Querdenken-Ideologie ist. Die angeblichen Retter*innen des Grundgesetzes – welches Querdenken in Berlin bereits abschaffen wollte¹² – fantasieren seit Wochen von einer Corona-Diktatur, der Fremdherrschaft über Deutschland und verbreiten über ihre Kanäle jede noch so absurde Lügengeschichte im Bezug auf die aktuelle Pandemie.
Solidarisch durch die Krise – Gegen die Spaltung der Arbeiter*innenklasse
Wir als Antifaschist*innen können und wollen diese Angriffe auf eine friedliche und solidarische Gesellschaft nicht weiter hinnehmen, denn für uns ist klar, dass die derzeitigen Hygienemaßnahmen sinnvoll und zur Eindämmung der Virusausbreitung notwendig sind. Dabei ist es egal, ob man sich selbst aus Angst vor einer Ansteckung und den eventuellen gesundheitlichen Folgen hat oder Maske trägt und Abstand hält, um Menschen aus den unterschiedlichsten Risikogruppen zu schützen. Während im Frühling noch allerorts der Slogan „Flatten the Curve“ zu hören und zu lesen war, behaupten Gruppen wie Querdenken 234 nun, dass es weder ein Virus gebe, noch dass das Gesundheitssystem vor einer Katastrophe steht. Doch aktuelle Zahlen zeichnen ein anderes Bild, denn in Bochum haben sich Stand 5. November 3.254 Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert, das entspricht 890,1 Infizierten pro 100.000 Einwohner*innen. Die Stadt hat bereits mehr als 30 Menschenleben zu beklagen und es ist einzig der Solidarität der Bochumer*innen in den vergangenen Monaten zu verdanken, dass nicht noch mehr Menschen gestorben sind, denn noch haben die Kliniken der Stadt Kapazitäten, im Frühling waren diese sogar so hoch, dass Menschen aus schwerer betroffenen Ländern wie Italien und den Niederlanden in Bochum behandelt und gerettet werden konnten. Doch vergleicht man die Infektionszahlen dieser Länder zu Beginn des Jahres mit den derzeitigen Zahlen in der BRD, fällt schnell auf, dass unser Gesundheitssystem vor ähnlichen Herausforderungen steht wie die unserer Schwestern und Brüder im Rest der Welt.
Und so werden wieder diejenigen im Fokus stehen, die im Frühling beklatscht, über den Sommer vergessen und im Herbst angefeindet wurden: medizinisches Personal und Pflegekräfte. Noch vor einigen Wochen mussten die Held*innen der Pandemie Angriffe über sich ergehen lassen, nachdem sie zu Beginn des Jahres zahlreiche Menschenleben gerettet haben und im Herbst in den Streik getreten waren, um ihre wichtige und aufopferungsvolle Arbeit entsprechend finanziell würdigen zu lassen. Im kapitalistischen Gewinnzwang, dem sich zahlreiche deutsche Kliniken durch Privatisierungen unterworfen haben, geht es um finanzielle Einsparungen, was seit Jahren dazu führt, dass zu wenig Intensivpflegepersonal in den Kliniken angestellt ist, was die zu erwartende Mehrbelastung durch intensivpflichtige COVID-19-Patient*innen noch einmal verschärfen wird. Wir laufen Gefahr, dass Patient*innen triagiert werden müssen, wie es in einigen Ländern der Welt schon geschehen musste.
Uns ist bewusst, dass die derzeitigen Maßnahmen der Bundesregierung einen enormen Einschnitt in unsere Leben und unsere persönliche Entfaltungsfreiheit darstellen und wir kommen auch nicht umhin, diese Einschränkungen unkommentiert zu lassen. Doch angesichts der weltweiten Krise, in der wir uns befinden, helfen uns weder Verschwörungsideologien bezüglich einer angeblichen Neuen Weltordnung, die oktroyiert werden soll, noch die kategorische Ablehnung der derzeitigen Maßnahmen a priori. Es sind ganz andere Fragen, die uns beschäftigen: Warum stellen Bundes- und Landesregierung kapitalistische Profite über Menschenleben, warum werden Corona-Maßnahmen genutzt, um die Schleierfahndung auszubauen¹³, warum werden Soldat*innen für ihren Bereitschaftsdienst mit einer Sonderzahlung in Höhe von 600 Euro belohnt, während Student*innen ihr Studium aufgeben müssen, prekarisierte Personen um ihre Jobs bangen müssen und Solo-Selbstständige – etwa in der Kulturbranche – nur unerhört langsam staatliche Hilfe erwarten können, während Großunternehmen zwar Gewinne an Aktionär*innen auszahlen, aber trotzdem staatliche Hilfe gestellt bekommen. Wir fragen uns, warum die Gewinner*innen der Krise nicht zur Kasse gebeten werden, während vom Staat kaum Gelder für die Modernisierung von Schulen, Weiterbildung von Leher*innen und eine angemessene Bezahlung von Krankenhauspersonal und Arbeiter*innen im Einzelhandel locker gemacht werden.
Wir befinden uns wieder einmal in einer Krise, die auf dem Rücken der lohnabhängigen Arbeiter*innen aufgetragen werden soll und das nehmen wir nicht weiter hin. Unsere Forderungen sind klar und einfach:
- Die finanziellen Gewinner*innen der Krise müssen verpflichtet werden, für den volkswirtschaftlichen Schaden aufzukommen.
- Die Arbeitsbedingungen unserer Kolleg*innen in den Gesundheits- und Altenpflegeberufen muss maximal verbessert werden.
- Unsere Kolleg*innen im Einzelhandel, den Versandlagern und Versandunternehmen müssen vor den gesundheitlichen Folgen von Überarbeitung und Stress geschützt werden.
- Menschen, die unter den psychischen Belastungen des Lockdowns und der anhaltenden Krise leiden, müssen umfassende Hilfsangebote erfahren.
- Alle lohnabhängig beschäftigten Arbeiter*innen müssen finanziell unterstützt werden, es muss ein umfassendes soziales Rettungsnetz gespannt werden, um die Krise nicht auf Kosten des Proletariats durch zu stehen.
- Konzerne, die Dividenden an ihre Aktionär*innen auszahlen können, sind ausnahmslos von staatlicher Hilfe auszugrenzen.
- Deutschland und die Europäische Union müssen zwangsläufig finanzielle und medizinische Unterstützung im globale Süden zur Verfügung stellen und sich dafür einsetzen, dass ein möglicher Impfstoff auch an durch den weltweiten Kapitalismus benachteiligte Menschen geliefert werden kann. Die Kosten hierfür hat die Europäische Union zu tragen.
- Nach dem Ende der Krise müssen alle Grundrechtseinschränkungen unverzüglich zurück genommen werden.
Diese Ziele kann man nicht erreichen, wenn man gemeinsam mit Antisemit*innen, Reichsbürger*innen, Verschwörungsideolog*innen, Impfgegner*innen und Neonazis demonstriert, sie lassen sich nur erreichen durch den solidarischen Zusammenhalt der Arbeiter*innenklasse. Die meisten von uns leiden unter der Krise, ob zwischenmenschlich, gesundheitlich, finanziell und/oder sozial. Wir können diese Krise nur gemeinsam bewältigen und brauchen dafür weder Querdenken, noch den Schulterschluss zur extremen Rechten. Wir brauchen die uneingeschränkte Solidrität des Proletariats.
Daher steht für uns fest: Wir kämpfen gemeinsam gegen die Pandemie, gegen Faschist*innen und Ideolog*innen und für die Überwindung der Klassengesellschaft!
Antifaschistische Aktion Bochum
–––––––––––––––––––––––