Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Arbeiter*innenkampfes im Ruhrgebiet haben wir ins als Bochumer Antifaschist*innen mit dem Zeitgeschehen auseinander gesetzt. Dabei haben wir die geschichtlichen aufgearbeitet und uns zugleich gefragt, welche Relevanz die Kämpfe von damals für uns heute haben. Herausgekommen ist dabei eine Broschüre, die wir aufgrund der aktuellen Situation für euch aufgesprochen haben. RadioNordpol Dortmund hat die Aufzeichnung für uns veröffentlicht.
Den Audioaufzeichnung findet ihr unter:
Und unter:
https://www.freie-radios.net/101370
Vorwort
Die vorliegende Broschüre erinnert an die Ereignisse im Ruhrgebiet vor 100 Jahren. Wir möchten damit den Ruhraufstand, der vom 13. März bis 12. April 1920 andauerte, zurück in das kollektive Gedächtnis bringen. Vor 100 Jahren tobten schwere Kämpfe im Ruhrgebiet. Doch die Geschichte beginnt woanders, denn zunächst hatten die rechten Kapp-Putschisten am 13. März 1920 die SPD-Regierung in Berlin zur Flucht gezwungen. Konsequenterweise stellten sich diesmal Sozialdemokrat*innen, Gewerkschaften und Kommunist*innen geschlossen gegen diesen reaktionären Versuch der Machtübernahme und traten in den größten Generalstreik der deutschen Geschichte. Die Bedingungen für die Arbeiter*innen und ihre Familien im Ruhrgebiet war zu dieser Zeit von unvorstellbaren Entbehrungen, harter Arbeit und einer für Mensch und Natur dystopischen Umgebung geprägt. Es bestand eine massive Kluft zwischen einer reichen, elitären Oberschicht und der Masse der Arbeiter*innen. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit brutaler Polizeigewalt bei vorangegangenen Arbeiter*innenkämpfen organisierten sich die Arbeiter*innen im Ruhrgebiet und bewaffneten sich. Aus losen Zusammenhängen, die in Stadtteilen, Stahlwerken oder Zechen organisiert waren, erwuchs die Rote Ruhrarmee. Doch nicht nur der Widerstand wurde organisiert, sondern auch das Politische; und so war das Ruhrgebiet in dieser Zeit fest in der Hand linker Kräfte. Die Elite-treue Reichswehr, die Polizei und die rechten Freikorps waren vertrieben. Dies war den Eliten aus Politik, Militär und Industrie natürlich ein Dorn im Auge und insbesondere den adeligen Militärgenerälen schmerzte die Niederlage an Rhein und Ruhr. Nachdem der Kapp-Putsch nach 100 Stunden bereits geschlagen war setzten Verhandlungen ein und Regierung und Militär wollten die alte Ordnung wieder herstellen. Schließlich ignorierten Reichswehr und rechte Freikorps, die bereits Hakenkreuze am Helm trugen, jegliche Verhandlungen und Abkommen und griffen die sich in Auflösung befindlichen Einheiten der Roten Ruhrarmee an. Sie übten im April 1920 brutale Vergeltung an Arbeiter*innen und ermordeten Hunderte von ihnen.
Vor 100 Jahren war alles anders?! Nein, nicht alles!
Dieser Monat des Widerstandes mit all seinen Begleitumständen ist für uns aus der Retroperspektive lehrreich und weist Kontinuitäten auf, auch wenn die gesellschaftlichen Umstände und die Härte der Auseinandersetzungen in ihrem historischen Kontext gesehen werden müssen. Das Ruhrgebiet ist heute ein anderes, die Gesellschaft hat sich ausdifferenziert, Demokratisierungsprozesse haben eingesetzt und soziale Kämpfe werden im Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht mehr bewaffnet geführt. Auf der anderen Seite hat der bereits damals brutalen radikale Neoliberalismus nichts von seiner Rücksichtslosigkeit eingebüßt, lassen sich in der Parteienlandschaft Ähnlichkeiten erkennen und bestehen alte Bündnisse weiterhin fort, wenn auch weniger sichtbar. Wir als Linke stehen selbstverständlich an der Seite der Unterdrückten, weshalb wir uns auch heute positiv auf den Ruhraufstand beziehen. Ausgebeutete Arbeiter*innen nahmen ihr elendes Schicksal nicht länger hin und bäumten sich gegen Fabrikbesitzer und Industrielle auf. Heute sind diese Kämpfe global und das Schicksal der Ruhrgebietsarbeiter*innen hat mittlerweile die Arbeiter*innen des globalen Südens erreicht. Wir nehmen ebenfalls zur Kenntnis, dass nur die Organisation des Widerstandes zu dem, wenn auch kurzfristigen Erfolg des Ruhraufstandes führte. Die entscheidende Lehre aus dieser Zeit ist jedoch, dass die Strukturen im Kapitalismus fortbestehen: oben gegen unten, reich gegen arm, rechts gegen links. Die Ereignisse im Frühjahr 1920 verdeutlichen, dass sich im Ernstfall die unvereinbaren Gegensätze der Gesellschaft polarisieren. Die Profiteure von Ausbeutung und Unterdrückung verbinden sich mit rechten Parteien und Militärs, um das System aufrecht zu erhalten. Einen ersten Vorgeschmack dieser Verbindung gaben uns bereits FDP, CDU und AfD in Thüringen. Das Parteiprogramm der AfD verdeutlicht dies abermals, indem wirtschaftsfreundliche Maßnahmen angedacht sind, während im Bereich Sozial- und Rentenleistungen massive Kürzungen vorgeschlagen werden. Die Sympathien zwischen Wirtschaftsliberalen und Extremer Rechter sind also nur konsequent. Wir hingegen müssen damals wie heute an der Seite der Unterdrückten, Marginalisierten und Diskriminierten stehen und gegen die um sich greifenden gesellschaftlichen Verrohungstendenzen aufstehen
In diesem Sinne: Es lebe die Rote Ruhrarmee!
Antifaschistische Linke Bochum,
März 2020
100 Jahre Ruhrwiderstand
Im März 1920, also vor 100 Jahre entstand in den Städten des Ruhrgebiets die „Rote Ruhrarmee“,die zeitweise rund 100.000 Bewafnnete zählte.
Zunächst verteidigte diese bewaffneten Einheiten die Städte des Ruhrgebiets und deren Arbeiter vor den reaktionären Militärs des Kapp-Putsches.
Nach der Niederschlagung des rechten Putsches, der maßgeblich durch die Rote Ruhrarmee gelang, forderten die Arbeiter mehr Rechte und grundlegende, progressive Änderungen in Staat und Militär. Schon während dieser Tage versuchte die Arbeiterschaft des Ruhrgebiets ihr hartes, entbehrungsreiches Leben neu zu strukturieren, besser zu machen. Die sogenannte „März- Revolution“ scheiterte aber schließlich an der brutalen und beispiellose Niederschagung durch die Reichswehr und die schändliche Rolle der SPD.
Kapp-Lüttwitz-Ludendorf-Putsch
Am Moren des 13. März 1920 marschierte die berüchtigte Marinebrigade Ehrhardt von Döberitz unter den schwarz-weiß-roten Fahnen des Kaiserreiches und mit aufgemalten Hakenkreuzen an den Stahlhelmen nach Berlin und besetzte das Regierungsviertel in der Wilhelmstraße.
Die beiden Rechtsparteien im Reichstag (DNVP und DVP) sowie zahlreiche bürgerliche Politiker unterstützten den Putsch oder ließen ihre Sympathien erkennen. Viele warteten die weitere Entwicklung ab. Der Staatsstreich löste in allen Teilen Deutschlands heftige Reaktionen aus.
Die Aufrufe der Gewerkschaften zum Generalstreik verbreiteten sich rasch und fanden große Resonanz. Kurz vor ihrer Flucht aus Berlin veröffentlichte die SPD-Regierungsmitglieder und der SPD-Vorsitzende Wels einen außergewöhnlich scharf gehaltenen Aufruf zum Generalstreik.
Der Generalstreik, der am Montagmorgen des 15. März mit voller Wucht einsetzte, legte überall in Deutschland Produktion, Verwaltungen und Verkehr lahm. Insgesamt streikten über 12 Millionen Arbeiter und Angestellte.
Übereinstimmend werten Historiker diesen Generalstreik als den größten Massenstreik, den es je in Deutschland gegeben hat.
Widerstand im Ruhrgebiet
In Westen stellten sich mehrere Truppenteile der Reichswehr ganz offen hinter die rechte Putsch-Regierung und zeigten dies noch am 13. März mit dem demonstrativen Hissen der alten Reichsflagge „Schwarz-Weiß-Rot” in ihren Kasernen.
Umfangreichen Truppenbewegungen und Zugtransporte mit Kriegsgerät machten den Arbeiter*innen im Ruhrgebiet schnell deutlich, was die rechten Putschisten vor hatten. Die Truppentransporte lösten daher überall große Unruhen aus und die Bahnhöfe, die sie passierten, wurden zu ersten Kristallisationspunkten des beginnenden Kampfes. Schon am 14./15. März 1920 kam es deshalb in Hamborn, Annen, Werden, Unna/Kamen und Velbert/Wülfrath zu ersten bewaffneten Zusammenstößen und Kämpfen. Die Entscheidung brachten tagelange und blutige Kämpfe in Essen und Remscheid am 18./19. März, an denen Arbeiterwehren und lose Einheiten von Arbeiter*innen eingriffen.
Die Arbeiter*innen die bereits im ersten Weltkrieg viel Fronterfahrung sammeln konnten, schlugen durch ihr schnelles Handeln die Reaktion zurück.
Nach den Erfolgen der Arbeiterwehren in Wetter und Dortmund hatte sich im Dreieck Hagen – Dortmund – Bochum das Zentrum der Aufstandsbewegung formiert, deren Zentrale sich in Hagen befand. In Marl entstand zu diesem Zeitpunkt die Kampfzentrale der Bochumer Arbeiterwehr.
Rote Ruhrarmee
Nach den siegreichen Kämpfen der Arbeiterwehren und dem Rückzug des Militärs war eine Situation geschaffen, wie sie bisher im Verlauf des Widerstandes nirgends erreicht worden war. Der Begriff Rote Ruhrarmee, in Remscheid entstanden, wurde nun zum Inbegriff der bewaffneten Kräfte der Arbeiter*innen. Auf großen Konferenzen der Arbeiterräte wurde jetzt der Aufbau von Verwaltungsstrukturen ebenso diskutiert wie die Unterstützung der Roten Ruhrarmee und die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung an Rhein und Ruhr.
Ende des Kapp-Lüttwitz-Putsches
Der Kapp-Lüttwitz-Putsch war am 18. März 1920 durch den Generalstreik und die bewaffneten Aktionen des Proletariats im RW-Industriegebiet, in Mitteldeutschland und in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich beendet worden.
Kaum waren die Putschisten verjagt, verlangte die Regierung von der Arbeiterschaft die Entwaffnung der Roten Ruhrarmee. Doch die Arbeiterräte und die Gewerkschaften wollten mehr Rechte, mehr politischen und mehr sozialen Einfluss, die Umwandlung der nationalistisch/monarchistisch geprägten Reichswehr und der paramilitärischen Einheiten in eine Volksarmee. Die selbstbewussten Arbeiter*innen an Rhein und Ruhr hatten ihre Lektion gelernt. Die Ablehnung der Forderung der Reichsregierung hatte zur Folge, dass Lebensmittellieferungen in das Ruhrgebiet unterbrochen wurden, die Reichsbank den Zahlungsverkehr mit dem Ruhrgebiet einstellte und Militär aus Süd- und Ostdeutschland in das Münsterland und Ostwestfalen beordert wurde.
Einmarsch der Reichswehr ins Ruhrgebiet
Nach dem Scheitern der Versuche der Gewerkschaften die Bildung einer „Arbeiterregierung“ herbeizuführen und aufgrund von unterschiedlichen Auffassungen der einzelnen Abteilungen der Arbeiterbewegung zur Einschätzung der Lage riefen die Gewerkschaften zum Ende des Generalstreiks auf. Auch die „Bielefelder Verhandlungen“ (23./24. März 1920) blieben ohne Erfolg, da die Reichswehr diese ablehnten und die Regierung Versprechungen machte aber keine Garantien abgeben wollte.
Weitere Verhandlungen in Münster beendete die Reichswehr mit einem unerfüllbaren Ultimatum zur Abgabe der Waffen der Roten Armee. Schon vor dessen Ablauf begannen die Reichswehr und die ihr unterstellten extrem rechten Freikorps ab dem 28. März mit den Vormarsch in das Ruhrgebiet. Südlich von Wesel, Haltern und Lünen/Hamm setzten aus ganz Deutschland zusammengezogene Truppen über die Lippe und überrannten Stellungen der Roten Ruhrarmee. Es waren zum überwiegenden Teil die gleichen Truppen, die den Putsch aktiv unterstützt oder ihn gebilligt hatten. Die Clique aus Monarchisten, Militärs und Industriellen holte mit Rückendeckung der Regierung zum Gegenschlag aus. Innerhalb von wenigen Tagen wurde das Ruhrgebiet besetzt. Der Vormarsch der Reichswehr ging einher mit Razzien in Arbeitersiedlungen, tausenden Festnahmen, willkürlichen Erschießungen und der Einrichtung von Sonder- und Standgerichte. In den ersten Apriltagen zerfiel die Rote Ruhrarmee. Verstreute Einheiten lieferten der Reichswehr noch bis zum 6. April kleinere Gefechte, dann war der Kampf beendet.
Nun folgte der »weiße Terror«. Die Schmach der Niederlage im 1. Weltkrieg, die Wut über den Sturz der Monarchie und die Errichtung der Republik ließen die Reichswehr Verbrechen begehen, die bis heute erschüttern und kaum fassbar sind. Die Freikorps- und Regierungstruppen, die im Dienste der SPD-Regierung die Rote Ruhrarmee besiegt hatten, nahmen in brutaler Weise Rache an ihren Gegnern. Aus den Siedlungen und Wohnungen heraus wurden wahllos Männer verhaftet; man riß ihnen das Hemd vom Leibe, jeder der eine Druckstelle an der Schulter hatte, musste also ein Gewehr getragen haben und wurde sofort erschossen. Auch Mädchen und Frauen, die sich der Roten Ruhrarmee als Sanitäterinnen oder Küchenhilfen zur Verfügung gestellt hatten, wurden in Racheaktionen ermordet. Die Leichen wurden – oft namenlos – in Massengräbern bestattet. Aus Kreisen der Arbeiterschaft und der Angehörigen wurden Gedenksteine und Ehrengräber angelegt, die jedoch vielfach in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört wurden.
In Bochum findet eine jährlich Gedenkveranstaltung statt. Einige Ehrengräber und Gedenksteine haben diese Zeit jedoch überstanden und sind einen Besuch wert:
- Ehrengrab auf dem Friedhof Wiescherstraße in Herne
- Gedenkstein auf dem ehemaligen Friedhof, jetzt Park Dannenbaumstraße in Bochum-Laer
- Gedenkstein auf dem Friedhof in Bochum-Werne
- Gedenktafeln aus den 1930er und 1980er Jahren am Wasserturm am Steeler Berg in Essen
- Gedenktafel auf dem Südwestfriedhof Essen
- Mahnmal auf dem Friedhof Horst-Süd in Gelsenkirchen
- Ehrengrab auf dem Westfriedhof in Oberhausen
- Mahnmal für die ermordeten Arbeiter der Roten Ruhrarmee auf dem Nordfriedhof in Dortmund
- Ehrengrab auf dem Friedhof Duisburg-Walsum
- Ehrengrab mit Statue auf dem Rembergfriedhof in Hagen
- Gedenktafel am Bahnhof der Stadt Wetter (Ruhr) für die dortigen Kämpfe (seit 1987)
- Ehrengrab in Witten-Bommern
- Ehrengrab für einen Arbeiterkämpfer in Wengern
- Gedenktafel am Ort von Erschießungen in Pelkum
- Ehrengrab auf dem Friedhof Pelkum
Weiterhin haben wir anlässlich des 100 jährigen Jubiläums des Ruhraufstand Shirts entworfen, die ihr, sobald es wieder möglich ist, bei Veranstaltungen erwerben könnt. Weiterhin danken wir dem Druckkollektiv Unterdruck aus Dortmund, welches uns beim Druck der Broschüre unterstützt hat.